Mir geht die kri­ti­sche Selbst­be­spie­ge­lung unse­rer Medi­en auf die Ner­ven. Voka­beln wie Ver­sa­gen, Staats­ver­sa­gen oder Ähn­li­ches erle­ben Hoch­kon­junk­tur. Den Medi­en kann man in die­ser Kri­se nicht vor­wer­fen, regie­rungs­freund­lich und unkri­tisch zu berich­ten. Dies­mal über­zie­hen sie in die ande­re Rich­tung. Das Schlimms­te ist, dass kaum einer von denen zu mer­ken scheint, das sie – dies­mal aus ganz ande­ren Grün­den – wie­der Teil des Pro­blems sind. Aber bestimmt nicht einer wie auch immer gear­te­ten Lösung.

Top – Vergleiche

Es ist auch so typisch deutsch. Schau­en wir uns um und neh­men mal Maß an den Län­dern, die im digi­ta­len Teil der Coro­na-Kri­se auch kei­ne Top-Posi­tio­nen beklei­den. Über­all fin­den wir Licht und Schatten. 

Die ver­ständ­lich mie­se Stim­mung dazu her­zu­neh­men, in die­ser Lage eine Gene­ral­kri­tik nach der ande­ren an der poli­ti­schen Füh­rung vor­zu­tra­gen, wirkt, als hät­ten wir in der Not eine Nei­gung ent­wi­ckelt, das Kind buch­stäb­lich mit dem Bade auszuschütten.

Selbstkritik oder Selbstkasteiung?

Es lie­gen auch ohne die­se Art von Selbst­kas­tei­ung vie­le gro­ße Pro­ble­me vor uns, aber doch nicht nur vor unse­rem Land. 

Die bis­her kaum zu über­schau­en­den direk­ten und indi­rek­ten Fol­gen der Coro­na-Kri­se und die bis­he­ri­gen Ver­säum­nis­se im Kampf gegen den Kli­ma­wan­del schät­ze ich welt­weit so groß ein, dass sie im Ver­gleich zu den klein­ka­rier­ten Dis­kus­sio­nen über den Fort­schritt der Digi­ta­li­sie­rung in Deutsch­land eigent­lich alles bestim­men müss­ten. Wer glaubt denn schon, wir hät­ten die Pro­ble­me nicht, wenn wir digi­tal top auf­ge­stellt wären? Wir sind weder die Inkas, noch sind wir Azte­ken oder das osma­ni­sche Reich. Wir wer­den allein auf­grund der Coro­na-Kri­se ver­mut­lich eini­ge Wohl­stands­ver­lus­te erlei­den. Dafür wer­den Öko­no­men und Sta­tis­ti­ker schon sor­gen. Bei­de wären schließ­lich brot­los, wenn sie sol­che Sze­na­ri­en nicht beschrei­ben kön­nen. Auch wenn ihre Beschrei­bun­gen sich in der Ver­gan­gen­heit mal mehr, mal weni­ger als total dane­ben erwie­sen haben.

Individualisierung

Mich inter­es­siert, wie unse­re Kin­der und Jugend­li­chen das in der Kri­se Ver­säum­te nach der Kri­se auf­ho­len. Wie schafft die­se Gesell­schaft es, die­sen schlim­men aber stark gras­sie­ren­den Trend zur Indi­vi­dua­li­sie­rung, was in vie­ler­lei Hin­sicht nur ein ande­rer Begriff für Ego­is­mus ist, in den Griff zu bekom­men? Dadurch, dass wir nur noch auf Poli­tik und Insti­tu­tio­nen schimp­fen, wird der wach­sen­de Frust nur noch wei­ter zunehmen.

Aus mei­ner Sicht sind die Ver­glei­che Deutsch­lands mit ande­ren Län­dern in Sachen Digi­ta­li­sie­rung auch sehr schwer nach­zu­voll­zie­hen. Ich weiß, es gibt Stu­di­en. Wenn wir eins durch Coro­na gelernt haben, dann dass die Wis­sen­schaft sich nicht durch expli­zi­te Wahr­heit aus­zeich­net. Ja, empi­ri­sche sind eine tol­le Sache. Aber sind die Stu­di­en empi­risch, in denen Deutsch­land gro­ßer Nach­hol­be­darf in Sachen Digi­ta­li­sie­rung attes­tiert wird? Wie sind sie ange­legt, wel­chen Inter­es­sen könn­ten die Ergeb­nis­se sol­cher Stu­di­en die­nen? Ich hof­fe, dass die Jour­na­lis­ten, die stän­dig auf sol­che Daten ver­wei­sen, die­sen Fra­gen nach­ge­gan­gen sind und sich ihrer Inte­gri­tät so sicher sind, wie sie es immer wie­der behaupten.

Technikfeindliche Deutsche?

An die angeb­lich so man­gel­haft aus­ge­präg­te Bereit­schaft, neue Tech­no­lo­gien anzu­neh­men, glau­be ich nicht. Ich darf mei­ne eige­ne Ein­stel­lung dazu dabei nicht als Basis neh­men. Schon klar. 

Ist es wirk­lich ziel­füh­rend, wenn deut­sche Jour­na­lis­ten so ger­ne auf Ver­glei­che mit Län­dern ver­wei­sen, in denen angeb­lich die Digi­ta­li­sie­rung so viel bes­ser läuft? 

Im »Speed­test Glo­bal Index« etwa, der Indus­trie­län­der nach der Geschwin­dig­keit ihrer Breit­band­ka­bel­ver­bin­dun­gen auf­lis­tet, liegt Deutsch­land auf Platz 34, wäh­rend sich Rumä­ni­en, Däne­mark, Frank­reich, die Schweiz, Spa­ni­en und Ungarn unter den Top Ten plat­zie­ren können.

Deutsch­land droht zu schei­tern: Der Sound des Abstiegs – DER SPIEGEL

Deutsch­land liegt auf Platz 34. Stimmt. Inter­es­sant und fair wäre aber, wenn man sich auch ein paar der Län­der ansieht, die hin­ter uns lie­gen. Dazu zäh­len Groß­bri­tan­ni­en, Finn­land, Öster­reich, Aus­tra­li­en. Zudem könn­te man erwäh­nen, wie stark sich die durch­schnitt­li­chen Breit­band­leis­tun­gen (Mbps) von Rang zu Rang unter­schei­den. Der «Digi­tal Riser Report 2020″ wird als Maß­stab für digi­ta­le Wett­be­werbs­fä­hig­keit gehan­delt. Deutsch­land liegt unter den G7-Staa­ten im hin­te­ren Teil – wie übri­gens auch die USA und Ita­li­en. Das wird in den Tex­ten von Jour­na­lis­ten nicht so erwähnt wie ich es rich­tig fän­de. Haupt­sa­che, Deutsch­land steht schlecht da. So wirkt das oft auf mich. (Link: Digi­tal Riser – EUROPEAN CENTER FOR DIGITAL COMPETITIVENESS)

Auch bevor das Coro­na-Virus zuschlug, gab es Home­of­fice. Sogar in Deutsch­land! Sieht man sich die Nut­zungs­zah­len in Deutsch­land an, ste­hen wir nicht ganz schlecht da. Wie­der kei­ne Spit­zen­po­si­ti­on. Aber schlecht sind die­se 5 % von 2018 nicht. Muss man aus die­sen Daten nicht bei­spiels­wei­se auch den Schluss zie­hen, dass die Infra­struk­tur so schlecht gar nicht sein kann? Und auch, dass die Bereit­schaft zum Umgang mit neu­en Tech­no­lo­gien stär­ker aus­ge­prägt ist, als Jour­na­lis­ten in die­sem Land das stän­dig behaupten?

Es ist bei all­dem so ver­dammt ein­fach, die Schuld für bestimm­te Ver­säum­nis­se bei der Poli­tik abzu­la­den. Ich fra­ge mich, wo bei sol­chen Fra­gen eigent­lich der Ein­flüs­se der Märk­te bleibt. Sie sol­len doch nach Mei­nung vie­ler sowas regeln. Wer schafft es hier nicht, die erfor­der­li­chen Struk­tu­ren zu schaf­fen? Es man­gelt viel­leicht an der Inves­ti­ti­ons­be­reit­schaft von Unter­neh­men und – das wäre auch mal fair zu erwäh­nen – an zu vie­len Par­ti­ku­lar­in­ter­es­sen in unse­rer Gesell­schaft. Wenn wir Strom­tras­sen und vie­le ande­re Din­ge in Deutsch­land nicht fer­tig krie­gen, weil irgend­wel­che Bür­ger­initia­ti­ven ihre Fer­tig­stel­lung behin­dern und ver­zö­gern, soll­ten wir das nicht ein­fach unter den Tep­pich keh­ren. Aber genau das pas­siert, weil es ja so bequem ist, der Poli­tik die Schuld in die Schu­he zu schieben.

Diesen Beitrag teilen:
0CDD5CFF 182F 485A 82C6 412F91E492D0
Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Kategorie: Gesellschaft

Schlagworte: Demokratie Deutschland Individualismus Kritik Politik

Quelle Featured-Image: Standardbild...

Letztes Update:

Anzahl Wörter im Beitrag: 907
Aufgerufen gesamt: 37 mal
Aufgerufen letzte 7 Tage: 6 mal
Aufgerufen heute: 1 mal

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


✅ Beitrag gemerkt! Favoriten anzeigen
0
Share to...
Your Mastodon Instance