Sachsen und Thüringen im rechten Wahlrausch

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Es ist demo­ra­li­sie­rend, sich bewusst zu machen, dass Nar­ra­ti­ve um sol­che Begrif­fe wie „Nie wie­der!“ oder „Weh­ret den Anfän­gen“ jahr­zehn­te­lang gal­ten, aber ihre Bedeu­tung in der Gegen­wart zu ver­lie­ren scheinen. 

Juden sind in Deutsch­land nicht mehr sicher. Das ist längst kei­ne Neu­ig­keit mehr. Schon seit vie­len Jah­ren neh­men wir hin, dass Anti­se­mi­tis­mus und immer häu­fi­ger auch Gewalt gegen Juden in Deutsch­land statt­fin­den, und zwar über­all im Land. 

Den schö­nen Sonn­tags­re­den zum Trotz fin­den wir kei­nen Weg, den Men­schen, von denen ver­ba­le und kör­per­li­che Gewalt aus­geht, klar­zu­ma­chen, dass die­se Gesell­schaft nicht bereit ist, das zu tole­rie­ren und dass wir ihre Ver­ge­hen gegen unse­re Grund­sät­ze mit vol­lem Ein­satz bekämp­fen wer­den. Es gibt Men­schen, die sich für die­se Zie­le enga­gie­ren. Wahr­schein­lich mehr als ich das für mög­lich hal­te. Trotz­dem ste­hen jüdi­sche Schu­len, Syn­ago­gen und expo­nier­te jüdi­sche Ver­tre­ter unter stän­di­gem Polizeischutz. 

Mei­ne Sozia­li­sie­rung fand über­wie­gend in den 60-er und 70-er Jah­ren statt. Ich wur­de acht Jah­re nach Kriegs­en­de gebo­ren. Ich erin­ne­re mich, dass die The­men mich stark beschäf­tigt haben, obwohl wir die Juden­ver­fol­gung und die Nazi­zeit im Schul­un­ter­richt nur rudi­men­tär behan­delt haben. Der Krieg und die Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus waren für mich von Angst und Abscheu geprägt. Mein Vater hat wenig über den Krieg gere­det, obwohl er sei­ne kom­plet­ten zwan­zi­ger Lebens­jah­re gezwun­ge­ner­ma­ßen in Russ­land ver­brach­te, fünf Jah­re Kriegs­ge­fan­gen­schaft ein­ge­schlos­sen. Wenn er über­haupt davon erzählt hat­te, dann nur, wenn er Alko­hol getrun­ken hat­te. Es kam vor, dass er zu wei­nen begann. Wie schon erwähnt, es war sel­ten, dass er auf das The­ma kam. 

Ich erin­ne­re mich gut an die Zeit der Kuba-Kri­se 1962, obwohl ich damals noch kei­ne zehn Jah­re alt war. Mein Vater war trotz sei­ner Erfah­run­gen und sei­ner ver­mut­lich voll­stän­dig unver­ar­bei­te­ten Trau­ma­ta durch Krieg und Gefan­gen­schaft nach außen ein fröh­li­cher und belieb­ter Mensch. Wäh­rend die­ser zwei Wochen rede­te er ganz wenig, er wirk­te still und nach­denk­lich. Er hat­te Angst vor einem drit­ten Welt­krieg und das die Ame­ri­ka­ner und Rus­sen Atom­waf­fen ein­set­zen wür­den. Das immer­hin konn­te ich ihm ent­lo­cken. Ver­ges­sen habe ich unser Gespräch über sei­ne Sor­gen von damals nie.

Obwohl ich mich nie in der Frie­dens­be­we­gung mei­ner Jugend­zeit enga­giert habe, war mei­ne Hal­tung zu den Kon­flik­ten die­ser Zeit immer klar und ein­deu­tig. Ich habe kei­nen Wehr­dienst geleis­tet. Aller­dings nicht, weil ich mich als Pazi­fis­ten ver­stand, son­dern weil ich den beque­me­ren Weg gegan­gen bin und einen 10-jäh­ri­gen Ersatz­dienst bei der frei­wil­li­gen Feu­er­wehr in unse­rem Städt­chen geleis­tet habe.

Eine mili­tä­ri­sche Eska­la­ti­on emp­fand ich damals als äußerst rea­lis­ti­sche Bedro­hung des zu die­ser Zeit voll im Gang befind­li­chen Kal­ten Krie­ges. Ich war lei­den­schaft­lich gegen Krieg, für Frie­den und für die Wah­rung der Men­schen­rech­te auf der Erde. Als die 1989 die Gren­ze fiel, war ich begeis­tert und fuhr mit mei­ner Frau am Abend zu mei­nen Eltern, um uns gemein­sam zu freu­en und mit ihnen ein wenig zu fei­ern. Dass der War­schau­er Pakt auf­ge­löst wür­de, war damals noch nicht abzu­se­hen. Eine Wie­der­ver­ei­ni­gung rück­te an die­sem Tag in den meis­ten Köp­fen im Land in den Bereich des Möglichen. 

Drei Jahr­zehn­te spä­ter wächst die Ernüch­te­rung über man­che Begleit­erschei­nung der Wie­der­ver­ei­ni­gung. In Sach­sen hat die anti­de­mo­kra­ti­sche rechts­extre­me AfD 24 % aller Wäh­ler­stim­men erhal­ten, in Thü­rin­gen 24,6 %. Die AfD ist dort also die stärks­te poli­ti­sche Kraft. In ande­ren ost­deut­schen Län­dern sind die Stim­men­an­tei­le eben­falls beacht­lich. Nicht nur für unser poli­ti­sches Estab­lish­ment wird die­se Ent­wick­lung ein schwe­rer Schlag sein. Wie wir Bür­ge­rIn­nen mit die­ser Ent­wick­lung umge­hen soll­ten, wird wohl unter­schied­lich gese­hen. Man­che wer­den sagen: So ist Demo­kra­tie und hal­ten die AfD für ein Phä­no­men, das zwar im Wes­ten der Repu­blik zu Nase­rümp­fen und Ableh­nung führt, das jedoch ansons­ten von ech­ten Demo­kra­ten anzu­er­ken­nen ist. Ich sehe das anders und ver­wei­se auf den Anfang mei­nes Artikels. 

„Nie wie­der“ war für mich nie eine lee­re Wort­hül­se, eine Politfloskel! 

„Nie wie­der“ ist ein Ver­spre­chen, das Demo­kra­ten sich gege­ben haben, um jede faschis­ti­sche Ent­wick­lung in Land im Keim zu ersti­cken. Natür­lich gewalt­los, auf demo­kra­ti­schem Weg. Das geht, solan­ge sich die gesell­schaft­li­chen Nor­men nicht in einer Wei­se ver­schie­ben, die wir seit eini­gen Jah­ren beob­ach­ten muss­ten. Inzwi­schen hat sich im Land eine Unzu­frie­den­heit breit­ge­macht, die anti­de­mo­kra­ti­sche Strö­mun­gen för­dern und die sie tra­gen­den Kräf­te (AfD, Coro­na-Leug­ner, Impf­geg­ner, gewalt­be­rei­te rech­te Grup­pen, die sich von gewis­sen poli­ti­schen Ansa­gen der AfD auf­ge­for­dert füh­len, aktiv zu wer­den). Dass die AfD sol­che Kau­sa­li­tä­ten vehe­ment von sich weist, heißt nicht, dass den meis­ten Men­schen im Land die­se Zusam­men­hän­ge nicht abso­lut klar wären. Auch denen, die die AfD in Sach­sen, Thü­rin­gen und ande­ren ost­deut­schen Bun­des­län­dern gewählt haben. Umso schlim­mer fin­de ich das Ver­hal­ten der AfD-WählerInnen.

Der Ost­be­auf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung, Mar­co Wan­der­witz, hat in kla­ren Wor­ten die Grün­de für die Wahl­aus­brü­che in Ost­deutsch­land benannt. Sach­sens Minis­ter­prä­si­dent Kret­schmer gab in einer Erklä­rung zum Stim­men­ver­lust der CDU Herrn Wan­der­witz die Schuld. Das hat mich umge­hau­en. Ich war über­zeugt davon, dass Kret­schmer längst ver­stan­den hat, wel­che Stim­mung in sei­nem Land exis­tiert und wel­che Ergeb­nis­se (Umfra­gen) ihn erwar­ten. Kret­schmer hat sich in her­vor­ra­gen­der Art und Wei­se um einen Dia­log mit denen bemüht, die mit unse­rer Demo­kra­tie, der Bun­des­re­pu­blik in ihrer gegen­wär­ti­gen Ver­fasst­heit nichts mehr anzu­fan­gen wis­sen. Viel zu vie­le Men­schen im Osten haben kei­ne Lust mehr, ihren Poli­ti­kern zuzu­hö­ren. Und natür­lich hat dies Grün­de, die ich weder bei­sei­te­schie­ben noch baga­tel­li­sie­ren will. Aber auch die Sum­me all die­ser Vor­wür­fe und Kla­gen kön­nen doch für Demo­kra­ten kei­ne Begrün­dung lie­fern, ihre Stim­me einer rechts­extre­men Par­tei zu geben. 

Herr Wan­der­witz hat sich dafür ent­schie­den, mit sei­nen Lands­leu­ten in eine Kon­fron­ta­ti­on ein­zu­tre­ten. Der Preis dafür ist hoch. Er konn­te sein Direkt­man­dat nicht errin­gen. Er hat es an einen AfD-Kan­di­da­ten ver­lo­ren. Den Applaus, die Schen­kel­klat­scher der Rech­ten in Sach­sen und sonst wo in die­sem Teil Deutsch­lands kann man immer noch hören. Man­che Lands­leu­te for­dern von Wan­der­witz, sich zu schä­men, ande­re wer­den noch deut­li­cher. In der letz­ten Pan­ora­ma-Sen­dung wur­de ein Bei­trag über Wan­der­witz’ vor­bild­li­che Hal­tung gezeigt. Dass der Mann an sei­ner Stra­te­gie zwei­felt und viel­leicht sogar ver­zwei­felt (2. Inter­view) kann ich gut ver­ste­hen. Aber genau die­sen Mut soll­ten viel mehr Bür­ge­rIn­nen die­ses Lan­des auf­brin­gen und sich nicht mit der übli­chen Erb­sen­zäh­le­rei auf­hal­ten (wenn ich die State­ments von Chris­ti­an Lind­ner und Robert Habeck nach den Gesprä­chen zwi­schen der FDP und den Grü­nen höre…).

Mei­ne Frau und ich sind übri­gens doch wäh­len gegan­gen und haben bei­de SPD gewählt. Wir haben uns erst am Wahl­tag ent­schie­den. Sowohl was die Wahl an sich anlangt, als auch, wel­che Par­tei wir wählen.

Die SPD hat hier lei­der „trotz­dem“ knapp ver­lo­ren. Wir hof­fen wei­ter auf die Ampel. In unse­rem Städt­chen hat die AfD lei­der über 8 % der Zweit­stim­men erhal­ten. Die Grü­nen sind knapp davor gelan­det (Zweit­stim­men). Das schwa­che Ergeb­nis der Grü­nen hat hier wohl mit deren Ver­hal­ten zum Koh­le­aus zu tun. Dies erin­nert inso­fern an man­che Grün­de, die im Osten für das bekla­gens­wer­te Ergeb­nis der AfD sorg­ten. Dass so vie­le Leu­te dort demo­kra­ti­schen Par­tei­en die kal­te Schul­ter zei­gen, ist besorg­nis­er­re­gend. Ob sie für die Demo­kra­tie ver­lo­ren sind, bleibt abzu­war­ten. Den ein­fäl­ti­gen Aus­sa­gen man­cher Uni­ons­po­li­ti­ker (Phil­ipp Amt­hor) glau­be ich nicht. Die­se Wäh­le­rIn­nen las­sen sich in ihrem Frust und ihrer Stur­heit gewiss nicht leicht über­zeu­gen. Dafür kann nur eine Poli­tik sor­gen, die end­lich ein­mal wie­der über­zeugt und die glaub­wür­dig das umsetzt und ver­tritt, was die Par­tei­en in ihren Absichts­er­klä­run­gen und Wahl­pro­gram­men zuge­sagt haben. Nur so geht das. 

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: AfD Demokratie Ostdeutschland Russland Sachsen Thüringen Wahlen

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1 Gedanke zu „Sachsen und Thüringen im rechten Wahlrausch“

  1. Hal­lo Horst,

    Ich habe auch nicht so rich­tig eine Erklä­rung für so ein Wahl­ver­hal­ten hier in Sach­sen. Nur so viel: Es scheint so, als ob die AFD auch schwä­cher wur­de. Aller­dings wur­de die CDU regel­recht zer­brö­selt. Gewin­ner waren hier die, die eine Ampel bil­den wollen.

    In Sach­sen ist man schwer kon­ser­va­tiv. Und nach dem Desas­ter Sta­nis­law Til­lich als Minis­ter­prä­si­dent geht es bei der CDU nur noch um Scha­dens­be­gren­zung. Das mer­ken die Leu­te. Und wenn der CDU­ler im Dorf dann zur AFD wech­selt, wech­seln die Wäh­ler mit.

    Ich muss mich da nicht recht­fer­ti­gen. Und so eine Geschich­te darf nicht als Ent­schul­di­gung durch­ge­hen. Es ist aber für mich der Ver­such einer Erklärung.

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