Während der rot-grünen Regierung von 1998 entwickelte ich eine Aversion gegen die SPD. Schröders Reformpolitik war mir ein Dorn im Auge. Dass die Konservativen die Agenda 2010 noch heute als großes Reformprojekt loben, an dem das Land wirtschaftlich genesen wäre, ist für mich der ultimative Beweis dafür, dass die Politik falsch war. Ich empfand den folgenden Niedergang der SPD als logische Konsequenz.
Meine Erinnerung an diese Vergangenheit enthält nicht, dass die Politik der damaligen Rot-Grünen-Koalition vergleichbar kritisch im Fokus gestanden hätte wie die heutige Ampel-Regierung. Ein Störfaktor war schließlich nicht vorhanden! Und das, obwohl sich Deutschland erstmals seit dem 2. Weltkrieg militärisch international engagierte.
Als Merkel 2005 mit Westerwelles FDP übernahm, sah das ganz anders aus. Die Kritik an Schwarz-Gelb, insbesondere in der Anfangszeit, hat sich als äußerst brutal in mein Gedächtnis gebrannt. Das Aussehen, die Frisur und die Kleidung der Kanzlerin waren DIE Themen der Zeit. Und diese dauerte entschieden zu lange. Westerwelle hatte sich bei einer Pressekonferenz geweigert, einem britischen Journalisten auf Englisch zu antworten. Er erklärte das ebenso trotzig wie peinlich. Das war ein Renommee-Verlust der ersten Kategorie. Die Umfragen waren entsprechend.
Der „Presseclub“ von heute bearbeitete die Frage: „Feindbild statt Volkspartei – Woher rührt die Wut auf die Grünen?„. Es war interessant. Vor allem empfehle ich die Anruferrunde am Ende der Sendung.
Ich finde, Hensel, »ZEIT« hat einen Punkt, wenn sie die Kampagne beklagt, die rechte und konservative Medien gegen die Grünen führen. Es ist jedoch ebenso zutreffend, dass die moralischen Ambitionen und der Drang zur Interpretation in den entscheidenden politischen Bereichen unter den führenden Grünen nicht überwunden werden können. Das macht ihre Politik schwer vermittelbar. Deswegen werden sie auch als die ideologisierende aller Parteien bezeichnet.
Diesen offensichtlichen Fehler erkennen leider viele Menschen nicht, sondern plappern die Vorbehalte gewisser Medienvertreter einfach unkritisch nach. Es gibt unter unseren Parteien solche, für die Ideologie einen höheren Rang einnimmt. Ich schlage vor, man schaut sich die Arbeit der FDP diesbezüglich genauer an.
Obwohl ich das so sehe, haben die „Grünen“ meine Sympathie nicht (mehr). Es ist zwingend notwendig, einer fortschrittlichen, progressiven Politik ein gutes Marketing an die Seite zu stellen. Denn dieses Land ist überaltert und der Hang zum Konservativismus ist unübersehbar, also auch mit negativen Folgen. Witzig, dass Konservative sich gern als die wahren Klimaaktivisten präsentieren. Eigentlich sollte das qua Ideologie wohl so sein. Ich möchte den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten.
Leider spielt die Vermittlung grüner Politik aber deshalb kaum eine Rolle, weil die Partei (Führung und Mitgliedschaft) sich nun einmal zur einzigen erklärt, die den richtigen Weg weist und geht. Dieses überhebliche Selbstverständnis zerstört einen wenigstens halbwegs erforderlichen Gleichschritt in einer längst stark polarisierten Gesellschaft.
Inwieweit die Grünen auf ein breites Fundament an Zustimmung in der Bevölkerung auch weiterhin setzen können (relativ stabile Umfragewerte), bleibt zunächst abzuwarten. Es ist nicht aussichtslos, dass es in der Zukunft doch zu einer Schwarz-Grünen-Koalition auf Bundesebene kommen wird. Da mögen die Auguren der Union sonst etwas erzählen. Die SPD unter Scholz wird keine Rolle mehr spielen. Sie hat fertig.
Ich bin nicht wütend auf die Grünen.
Warum sollte ich? Sie sind für keines der Probleme verantwortlich, vor denen wir stehen.
Wenn ich mir den Zustand unserer Gesellschaft ansehe, erkenne ich jedenfalls den Teil der Schuld der Grünen. Sie haben viele Menschen überfordert mit ihrer moralisierenden Sicht auf die wichtigen Fragen dieser Zeit. Ich gebe dir recht, was die Gründe für das Desaster anlangt. Daran sind andere schuld – auch unser individuelles Verhalten.
Wie kommen die Grünen dazu, mit ihrer angeblichen Fortschrittlichkeit einen großen Teil unserer überalterten Bevölkerung derart zu überfordern? Was ist so schlimm daran, wenn sich Menschen davor fürchten, dass die zügellose und ungeordnete Migration unser Land ruinieren könnte? Oder – warum wird ein radikaler Klimaaktivist wie Graichen Staatssekretär und ist in der Lage, die Grünen mit seinen schweren handwerklichen Mängeln die Republik zu spalten? Nur zwei Dinge, die doch jedem aufgefallen und hinsichtlich ihrer Wirkung auf den Nerv gingen.