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Wie fühlt man sich in diesem Deutschland, wenn man Migrant ist?

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Vielleicht stimmt es, was ich dieser Tage las. An den vielen und zahlreich besuchten Demos sollen wenige optisch erkennbare Migranten beteiligt gewesen sein. Racial Profiling mal anders.

Ich kann nicht beurteilen, ob das zutrifft oder wie man zu solchen Feststellungen überhaupt kommt. Mir fällt allerdings auf, dass sich Migranten weniger laut äußern, als die um die Demokratie ach so besorgten Vertreter unserer etablierten Parteien. Da wird ganz schön für die Demokratie getrommelt und leider – den Eindruck habe ich – die Maßstäbe ganz schön verschoben. Anders ausgedrückt: Ich finde, etwas Zurückhaltung wäre in dieser Phase des wertvollen Protestes gegen Rechts angezeigt, zumal die Schuldfrage für das enorme Wachstum der Nazi-Partei nicht einleuchtend geklärt ist.

Mich interessieren die Gefühle und Gedanken der Menschen, die Gegenstand der Besorgnis so vieler Demonstranten sind.

Seit Jahren werden jüdische MitbürgerInnen von Ureinwohnern und Migranten bedrängt und angegriffen. Institutionen müssen geschützt werden und doch kam es zu Vorfällen, für die sich viele schämen werden. Diese Scham führte zu nichts. Außer zu hochtrabenden Bekundungen zahlreicher Volksvertreter.

Womöglich ist es auch Zufall, dass die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt haben: Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.
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Als die Correctiv-Recherche mit der zugegebenermaßen nur angedeuteten pikanten historischen »Parallele« namens Wannseekonferenz an die Öffentlichkeit ging, schlugen die Wogen hoch. Dabei ist genau dieser Vergleich doch eigentlich absolut unzulässig, weil er, wie ansonsten schnell behauptet wird, einer Relativierung der Einzigartigkeit des Holocaust entspricht. Aber dieses Mal war die Ursache für den erneut unpassenden Vergleich doch das Resultat eines gerechten Volkszorns gegen Rechts. Da gelten andere Maßstäbe.

Viele Juden haben unser Land in den vergangenen Jahren verlassen. Vor allem wohl deshalb, weil unser Land nicht bereit oder jedenfalls nicht dazu in der Lage ist, jüdisches Leben in einer Art und Weise zu beschützen, wie sich dies für dieses Deutschland nun einmal gehören würde. Es gibt wohl zu viele politische Aspekte in diesem Kontext, der uns überfordert oder den wir lieber (gern auch von links-grün) ignorieren und aussitzen. Mit dieser Zunahme von Gewalt und Ablehnung gegen jüdisches Leben haben Deutsche wie Migranten zu tun. Für Politiker gibts offenbar wenig zu gewinnen, würden sie wirksame Maßnahmen platten Reden vorziehen.

Über die festzustellende Euphorie, stellenweise bis hin zur Besoffenheit, über die vielen Teilnehmer bei den Demos gegen Rechts sollten wir bitte nicht vergessen, dass die Ursachen für die hohen Umfragewerte der AfD in der miserablen Arbeit dieser Ampel-Regierung liegen.

Vergegenwärtigen wir uns bitte, dass Teile dieser Bevölkerung dazu beitrugen, dass die AfD in nur zwei Jahren ihre Umfragewerte gegenüber dem letzten Wahlergebnis verdoppelt hat. Dass wir es mit einer Reaktion auf schlechte Regierungsarbeit zu tun haben, steht außer Frage. Deshalb hätte ich es gut gefunden, wenn sich Politiker der verantwortlichen Parteien nicht an die Spitze der Demo-Bewegung gestellt hätten. Opportunisten wären deshalb nicht ausgestorben, aber mit etwas Nachdenken hätte es funktionieren können.

Ich sehe in meinen migrantischen Freundeskreisen, dass das Erstarken rechter Positionen jetzt schon Auswirkungen hat. Deutsche mit Migrationshintergrund, die hierzulande ihre Ausbildung genossen, studiert und promoviert haben und dann für den nächsten Karriereschritt nach London oder Dubai gegangen sind – oft für deutsche Unternehmen – entscheiden sich dieser Tage endgültig gegen eine Rückkehr.
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Dass Migranten unser Land verlassen (ich fürchte vorwiegend diejenigen mit solider Ausbildung) dürfte nicht die einzige Reaktion sein, auf die es zu achten gilt. Wie viele Sorgen und Nöte sich in der Community breitmachen, kann man sich angesichts der Diskussionen im Land vielleicht vorstellen, betroffen zu sein, ist etwas vollkommen anderes.

Wer sich in seinem Heimatland nicht zu Hause fühlt, weil Teile der autochthonen Bevölkerung sich ausländerfeindlich geben oder Alltagsrassismus, offene Ablehnung und mangelnde Integrationsbereitschaft sich mit echten Integrationshindernissen mischen, der wird desillusioniert aufgeben und sich umorientieren. Das ist eine Art von „Remigration“, die durch ein solches Klima geschaffen und verstärkt wird.

Wir wissen das längst. Aber trotz gewonnener Einsichten und des ständig thematisierten Fachkräftemangels sind gegenläufige Entwicklungen entstanden, die mit allem möglichen zu tun haben, am wenigsten mit Vernunft.

Wie mag sich ein Mensch mit Migrationshintergrund in Deutschland fühlen, wenn er womöglich nach vielen Jahrzehnten als Bürger im Land zur Kenntnis zu nehmen hat, wie kontrovers über die eigene Zukunft diskutiert wird? Ich kann und möchte mir das nicht ausmalen.

Hätte die Politik das Thema Migration nicht in so unverantwortlicher Weise so lange schleifen lassen und stattdessen dafür gesorgt, dass unsere Regeln und Gesetze eingehalten werden, wären wir heute an einem anderen Punkt. Allen Menschen in diesem Land ginge es besser. Natürlich auch den Migranten, ob sie nun längst Deutsche oder ob sie erst seit 2015 in unser Land gekommen sind.

Andere europäische Länder haben uns das vorexerziert.

Statt unserem Land so Zuversicht, Rückhalt und Vertrauen zu geben, haben die Politiker es vorgezogen, humanitären Träumen und ideologischen Fantasien nachzuhängen. Vielleicht haben sie Angst vor den Reaktionen der veröffentlichten/öffentlichen Meinung, die sich heutzutage durch die unflätige Kritik in den asozialen Medien auszeichnet.

Dass sie sich aktuell dazu berufen fühlen, sich an die Spitze der Protestbewegung gegen Rechts zu stellen, empfinde ich als unverschämte Anbiederung.

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Horst Schulte
Herausgeber, Blogger, Autor und Hobby-Fotograf
Seit 2004 blogge ich über Politik und Gesellschaft – also seit die meisten noch SMS statt Tweets geschrieben haben. Mit 70 Jahren lebe ich immer noch im schönen Bedburg, direkt vor den Toren Kölns, und schreibe über alles, was die Welt bewegt (oder mich zumindest vom Sofa aufstehen lässt).

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Artikelinformationen:

Gesellschaft

Demos, Deutschland, Freiheit, Migration, Rechts

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2 Gedanken zu „Wie fühlt man sich in diesem Deutschland, wenn man Migrant ist?“

  1. Welche haben das vorexerziert? Polen? Ungarn?
    Finnland? Schweden?

    Frankreich sicher nicht. Italien auch nicht. Bei den Griechen bin ich auch skeptisch.

    Die Politik kann die Rahmenbedingungen vorgeben. Auf Migration oder Katastrophen hat sie jedoch keine Antwort.

    Da hätte viel global passieren müssen, bevor das Netz auf dem Handy verfügbar wurde. Hierdurch lässt sich jederzeit der Lebensstandard in jedem Land der Erde vergleichen.

    AntwortenAntworten
  2. Dänemark, Schweiz, Österreich, Niederlande machen aus meiner Sicht eine vernünftigere Einwanderungspolitik. An Polen und Ungarn muss sich keiner orientieren.

    Richtig wäre, jetzt nach den Massenprotesten gegen Rechts nicht so zu tun, als sei die Bevölkerung für eine voranschreitende, ungebremste Migration. Das ist sie nach meiner Überzeugung nämlich nicht.

    AntwortenAntworten

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