Zwischen Klowand und Kommentarspalte – Die Kultur der Dauerempörung

Wir leben in einer Ära des Dau­er­kla­gens – ob in Talk­shows, sozia­len Medi­en oder Blogs. Eine kri­ti­sche Selbst­be­trach­tung zwi­schen Nost­al­gie und Ironie.

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Ich beschwe­re mich selbst gern mal dar­über, dass die Leu­te sich zu viel beschwe­ren. Ver­rückt — aber es ist ein belieb­tes Hob­by in Deutsch­land und wohl nicht nur hier. Bei der Beschwer­de­wel­le, die mit­un­ter die Anmu­tung eines digi­ta­len Tsu­na­mis hat, bin ich selbst kein unbe­tei­lig­ter Zuschau­er. Wor­über will ich mich beklagen?!

Schaut man die viel zu regel­mä­ßi­gen Talk­shows im deut­schen Fern­se­hen, spürt man es ganz deut­lich: Da hat sich etwas ver­än­dert. Was frü­her als Streit­kul­tur durch­ging, wirkt heu­te oft wie ein ritua­li­sier­tes Kla­ge­fest mit vie­len Gäs­ten, die wohl eben­so wenig frei von eige­nen Feh­lern sind wie die­je­ni­gen, die gera­de öffent­lich »zer­pflückt« werden.

Streit im Land
Streit im Land

Alle sind unzu­frie­den, und es fühlt sich meist so an, als ob die­se Unzu­frie­den­heit gut zu begrün­den wäre. 

Und wir Blog­ger? Spie­len neben dem, was in den soge­nann­ten sozia­len Medi­en abgeht, in die­sem Kon­zert der Miss­tö­ne wohl auch eine Rol­le. Dabei machen gar nicht so weni­ge Blog­ger einen ordent­li­chen Bogen um die The­men, die über­all behan­delt wer­den. Sie machen sich natür­lich eben­falls Gedan­ken über die aktu­el­len Nach­rich­ten, denn ganz aus­wei­chen kann man dem gras­sie­ren­den Wahn­sinn schließ­lich nicht. 

Ich erin­ne­re mich gut an jenen arro­gan­ten Satz von Jean-Remy von Matt, der Blogs einst mit beschmier­ten Klo­wän­den ver­glich. Der Auf­schrei damals war groß – ein Shit­s­torm der ers­ten Stun­de, bevor die­ser Begriff über­haupt rich­tig salon­fä­hig war. Heu­te könn­te man fast sagen: Der Mann hat­te, unge­wollt, einen Nerv getrof­fen. Blog­ger wer­den die Nase rümp­fen, wenn man so etwas schreibt.

Denn die Kom­men­tar­spal­ten von einst sind zu Büh­nen gewor­den. Die Schreie nach Auf­merk­sam­keit sind lau­ter, geschlif­fe­ner – aber inhalt­lich? Oft bleibt das, was uns empört, erstaun­lich kon­stant. Nur die Kanä­le haben sich ver­viel­facht. Wir Blog­ger und die­je­ni­gen, die sich in den aso­zia­len Medi­en tum­meln, fei­ern ihre Muta­ti­on vom Emp­fän­gern zu Sen­dern — nicht sel­ten mit Einfluss.

demokratie statt
demo­kra­tie statt

Ich fra­ge mich manch­mal: Sind wir wirk­lich so unzu­frie­den? Oder lie­ben wir das Kla­gen einfach?

Ist es viel­leicht die letz­te gro­ße gemein­sa­me Sache, die uns alle ver­bin­det? Eine Art Lager­feu­er in stür­mi­schen Zei­ten – nur dass wir heu­te nicht Holz ins Feu­er wer­fen, son­dern Tweets, Posts, Blogartikel?

Es ist nicht alles schlecht. Es ist sogar viel gut.

Aber das sagt man heu­te nicht mehr laut, denn Opti­mis­mus scheint inzwi­schen fast ver­däch­tig. Es herrscht schnell so etwas wie Appease­ment-Ver­dacht, dabei den­ke ich oft, dass uns gera­de in Deutsch­land eine posi­ti­ve, eben opti­mis­ti­sche Sicht auf die Din­ge fehlt. «Ziem­lich naiv» heißt es, sei die­ser oder jener Gedan­ke. Oder schlim­mer noch: «unin­for­miert».

Längst bekla­gen sich man­che sogar dar­über, dass sich ande­re beschwe­ren. Die Meta-Kla­ge, wenn man so möchte.

—-

Aber was hat mich dazu inspi­riert, die­sen Arti­kel gera­de jetzt zu schrei­ben? Nun, mir fällt auf, dass das Image der noch nicht im Amt befind­li­chen Regie­rung bereits so mise­ra­bel ist wie das der Ampel in ihrer End­zeit. Obwohl ich vie­le Dis­kus­sio­nen dar­über ver­folgt und die Mis­se­ta­ten des desi­gnier­ten neu­en Kanz­lers prak­tisch haut­nah mit­er­lebt habe und die gan­zen Zuschrei­bun­gen nach­voll­zie­hen oder sogar tei­len kann, fin­de ich es fast ver­stö­rend, wie unre­flek­tiert wir mit den Pro­ble­men umge­hen, die vor uns lie­gen. Alles, was Merz und sei­ne Entou­ra­ge in der Ver­gan­gen­heit falsch gemacht haben, soll­te irgend­wann doch kei­ne Rol­le mehr spie­len. Schließ­lich geht es um die mit­tel- und lang­fris­ti­ge Zukunft des Lan­des. Mei­ner Mei­nung nach ist es not­wen­dig, Fün­fe gera­de sein zu las­sen, wenn wir alle gemein­sam vor­an­kom­men wollen. 

Gut, die Ampel wur­de nicht zuletzt von der Uni­on demon­tiert und vor­ge­führt. Dazu hat bei­getra­gen, dass Merz mit auf­ge­plus­ter­ten Backen jedes Zuge­ständ­nis im Hin­blick auf die Schul­den­brem­se ver­sagt hat und letzt­lich maß­geb­lich zum Schei­tern die­ser Regie­rung bei­trug. Dass er am Tag nach den Wah­len das tat, was vie­le vor­aus­ge­se­hen hat­ten, war mies und kri­tik­wür­dig. Nun ist es aber jetzt ein­mal so und der Blick ver­ant­wor­tungs­vol­ler Poli­tik muss nach vorn gerich­tet wer­den. Dar­an hin­dern uns aber lei­der teil­wei­se die glei­chen recht­ha­be­ri­schen Que­ru­lan­ten, die auch das Kli­ma für die Ampel im Land ver­dor­ben haben. Dazu zäh­le ich natür­lich in ers­ter Linie die Sprin­ger-Medi­en, aber auch Focus und ande­re rechts­kon­ser­va­ti­ve Medien. 

Mir fällt auf, dass Blog­ger sich gera­de in den Wochen nach den Wah­len mit nega­ti­ven Kom­men­ta­ren zurück­ge­hal­ten haben. Viel­leicht irre ich mich. Aber irgend­wann geht einem die über­mä­ßi­ge und zahl­rei­che Kri­tik auf den Zei­ger. Des­halb mag man schon gar nicht mehr dar­über blog­gen. Das wäre aus mei­ner Sicht eine posi­ti­ve Ver­än­de­rung. Hof­fent­lich hat es nicht nur damit zu tun, dass man die poli­ti­sche Lage so depri­mie­rend fin­det, dass man ein­fach nichts mehr dar­über schrei­ben mag. Dass die AfD in neu­en Umfra­gen nur noch 1 bzw. 2 % hin­ter der Uni­on zurück­liegt, macht mir gro­ße Sorgen. 

Wir müs­sen unse­ren Fokus auf Frei­heit, Demo­kra­tie, Men­schen­rech­te, Viel­falt und all die unbe­streit­ba­ren Vor­tei­le unse­res Lan­des aus­rich­ten.

Es muss jedem Frus­trier­ten, Unzu­frie­de­nen klar sein, dass sie als Wäh­ler der AfD die Ver­ant­wor­tung dafür tra­gen, dass die Demo­kra­tie nach 80 Jah­ren ein zwei­tes Mal durch Rechts, also durch ihre Stim­me, gekillt wer­den könnte.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

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