WordPress diskutiert gerade nichts weniger, als KI zu einem grundlegenden Bestandteil des Systems zu machen – und ein Teil der deutschsprachigen Bloggerszene verhält sich, als sei das der Untergang des offenen Webs. Dass Jetpack, das Plug-in aus dem Hause Automattic, schon seit geraumer Zeit munter Texte umschreibt, Inhalte zusammenfasst und Überschriften generiert, scheint dabei erstaunlich oft an genau den Leuten vorbeigegangen zu sein, die jetzt beim Stichwort „KI im Core“ Alarm schlagen.
Konkreter wird das im Beitrag „AI as a WordPress Fundamental“, in dem Entwicklerinnen und Entwickler skizzieren, wie KI künftig ganz selbstverständlich in den Core eingebunden werden soll – nicht als Gimmick, sondern als Werkzeug, das überall dort helfen soll, wo heute noch Copy & Paste, Klickorgien und Plug-ins mit fragwürdiger Herkunft dominieren. Schon 2023 wurde in „Let’s talk: WordPress Core & Artificial Intelligence“ dazu aufgerufen, öffentlich darüber zu diskutieren, wie so eine Integration aussehen kann, welche Schnittstellen der Core bieten sollte und wo die Grenzen liegen.
Während also auf der offiziellen Make-Seite von WordPress seit Jahren über Rahmenbedingungen, Transparenz und Verantwortlichkeiten nachgedacht wird, dominieren in deutschen Timelines oft reflexhafte Abwehrreaktionen: „KI hat im Core nichts verloren“, „Ich will WordPress ohne KI“, „Das zerstört die Plattform“. Die Ironie dabei: Wer Jetpack installiert oder WordPress.com nutzt, arbeitet in vielen Fällen längst mit genau diesen Funktionen – der „AI Assistant“ sitzt direkt im Editor, schlägt Formulierungen vor, fasst Absätze zusammen oder generiert Varianten, ohne dass sich die Plattform dafür in eine apokalyptische KI-Hölle verwandelt hätte.
Ein Blick auf die Produktseite von Jetpack AI zeigt, wie selbstverständlich die Integration inzwischen gedacht ist: KI als Content-Helfer, eingebettet in ein Toolset, das sowieso schon Sicherheit, Performance und Statistiken bündelt. Das ist vor allem bequem – und es macht sichtbar, wie künstlich die Trennlinie zwischen „WordPress mit“ und „WordPress ohne“ KI längst geworden ist. Die Plattform lebt seit Jahren davon, dass Funktionen ausgelagert, als Plug-ins zurückgeholt und später wieder in den Core integriert werden.
Spannend wird es, wenn man die Bubble verlässt und versucht zu klären, ob diese sehr laute Ablehnung in Deutschland ein globales Phänomen ist. Präzise Zahlen nur für „Blogger:innen“ gibt es zwar kaum, aber verschiedene Studien und Umfragen zeichnen ein deutlich anderes Bild. In einer breit angelegten Befragung unter Web-Profis und digitalen Kreativen geben zum Beispiel fast alle an, KI-Tools bereits in ihrer Arbeit einzusetzen – häufig täglich –, und bewerten ihre Erfahrungen mehrheitlich als positiv, ohne deshalb blind in Tools zu vertrauen.
International ist die Grundstimmung gegenüber KI eher „kritisch-pragmatisch“ als „fundamental ablehnend“. Viele Kreative wollen Kontrolle behalten, fordern klare Kennzeichnung und Regulierung, setzen die Tools aber längst ein: als Schreibhelfer, Ideengeber, für Bildkonzepte oder zur Routine-Automatisierung. Auch im Bereich Medien und Journalismus zeigen Befragungen, dass Nutzerinnen und Nutzer bei vollständig KI-generierten Nachrichten skeptisch sind, den Einsatz im Hintergrund – etwa für Recherche oder Strukturierung – aber durchaus akzeptieren.
Besonders deutlich wird der Kontrast, wenn man auf Influencer:innen und Content Creators schaut. Dort gehört KI inzwischen zum Standard-Werkzeugkasten, obwohl viele genau dieselben Bedenken haben wie Blogger:innen: Angst vor Austauschbarkeit, Sorge um die eigene Handschrift, Zweifel an der Qualität. Trotzdem wird KI hier nicht als Feind wahrgenommen, sondern als Werkzeug, das Arbeit abnimmt – mit der klaren Erwartung, dass am Ende immer noch ein Mensch entscheidet, was veröffentlicht wird.
Überträgt man dieses Bild zurück in die WordPress-Welt, wirkt der deutsche Diskurs erstaunlich altmodisch: Als ginge es immer noch um die Grundsatzfrage, ob „das Internet“ überhaupt eine Zukunft hat, nur diesmal mit KI. Die Core-Teams diskutieren längst darüber, wie sich Schnittstellen so gestalten lassen, dass unterschiedliche KI-Dienste genutzt werden können, ohne dass jede Seite ihre Inhalte einer Blackbox überlassen muss. Und externe Beobachter:innen beschreiben, wie ein eigenes AI-Team innerhalb des WordPress-Projekts versucht, die Vision von „AI as a fundamental part of WordPress“ auf eine stabile organisatorische Basis zu stellen.
Der eigentliche Konflikt liegt daher weniger in der Technik, sondern im Selbstbild: Wer WordPress primär als Werkzeug versteht, greift früher oder später zur KI, um Routineaufgaben zu verschlanken. Wer WordPress als Hort des „ungefilterten, reinen, authentischen Schreibens“ verklärt, erlebt jede neue Funktion, die auch nur nach Automatisierung riecht, als Angriff auf die eigene Identität als Blogger:in. In diesem Spannungsfeld wird KI zur Projektionsfläche, während die Plattform selbst längst auf dem Weg ist, sie einfach als eine weitere Schicht Infrastruktur zu behandeln – wie einst den Editor, den Customizer oder die REST-API.



„Dass Jetpack, das Plug-in aus dem Hause Automattic, schon seit geraumer Zeit munter Texte umschreibt, Inhalte zusammenfasst und Überschriften generiert, scheint dabei erstaunlich oft an genau den Leuten vorbeigegangen zu sein“
Das ist tatsächlich an mir vorbeigegangen. Und zwar deshalb, weil ich Jetpack aus Datenschutzgründen nicht nutze. Ich habe keine Lust, diesen ganzen Wust in mein Blog zu integrieren: https://legalweb.io/dsgvo/analyse_jetpack/
Es gibt genug anderer Sicherheits-Plugins, bei denen ein solcher Aufwand nicht nötig ist. Ich nutze bspw. Limit Logins Attempt Reloaded. Für SEO nutze ich bspw. MathRank.
@Erik: Ich nutze Jetpack auch nicht, sehe aber, wie viele in der deutschen Blogosphäre davor nicht zurückschrecken. 🙂 Es gehört bei manchen Bloggern schon immer zum guten Ton, bestimmte Plugins – vermutlich aus moralischen Gründen – auf gar keinen Fall und nie im Blog einzusetzen. Meine Güte. Merkst du das nicht selbst?