Wannseekonferenz: Nie dürfen wir über Menschen so denken und reden

Ich habe »Die Wann­see­kon­fe­renz« vor­ab in der ZDF-Media­thek gese­hen. Der Film ist wich­tig, so beklem­mend er ist.

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Ich habe „Die Wann­see­kon­fe­renz“ vor­ab in der ZDF-Media­thek gese­hen. Der Film ist wich­tig, so beklem­mend er ist. In den 80er-Jah­ren habe ich mir schon ein­mal eine Ver­fil­mung die­ses schwer ver­dau­li­chen Inhalts ange­se­hen. Dies­mal schaff­ten es die Dar­stel­ler bei mir ein Gefühl davon zu bekom­men, wie ent­setz­lich ver­roht die­je­ni­gen waren, die wir meist kurz Nazis nennen. 

In den heu­ti­gen Berich­ten wird über­wie­gend von NS-Regime, von der Nazi­herr­schaft oder kurz von den Nazis gere­det. In mei­nen Augen soll das sug­ge­rie­ren, dass die Deut­schen und die Nazis nicht wirk­lich etwas mit­ein­an­der zu tun hät­ten. Wenn von Nazi-Deutsch­land gere­det wird, macht man es den Zuschau­ern leicht, sich nicht mit die­ser Zeit und ihren Men­schen zu iden­ti­fi­zie­ren. Damit schafft man es, die unlieb­sa­me Fra­ge der Ver­ant­wor­tung (Schuld) von den Leu­ten fern­zu­hal­ten. Ist das richtig?

Die Ver­bre­cher waren Deut­sche. Sie hie­ßen nicht nur Hit­ler, Himm­ler, Göb­bels, Göring, Eich­mann, Heyd­rich oder Freis­ler. Der Glau­be an die Über­le­gen­heit der eige­nen Ras­se konn­te mas­sen­haft ver­mit­telt wer­den. Die Zustim­mung für die Natio­nal­so­zia­lis­ten bei den letz­ten Reichs­tags­wah­len vor 1933 wuchs in atem­be­rau­ben­der Geschwindigkeit. 

Am Ende die­ses kol­lek­ti­ven Wahn­sinns stand die Erkennt­nis, dass Ver­ant­wor­tung für den Holo­caust (kol­lek­ti­ve Schuld) trotz sei­ner her­aus­zu­stel­len­den Ein­zig­ar­tig­keit nicht allein auf ihn zu beschrän­ken ist. Es gab mehr Schre­ckens­ta­ten und Ereig­nis­se. Hier­zu zäh­le ich auch den Umgang mit poli­tisch Andersdenkenden. 

Die Art und Wei­se, in der die Teil­neh­mer der Wann­see­kon­fe­renz über Men­schen rede­ten und die Wor­te, die sie für ihre erklär­ten Fein­de wähl­ten, waren neben den kühl kal­ku­lier­ten Details des Mas­sen­mor­des an Juden und ande­ren Men­schen in ihrem Herr­schafts­be­reich für mich das Bedrü­ckends­te der fil­mi­schen Dar­stel­lung. Han­nah Are­ndt schrieb in ihrem Buch über den Eich­mann-Pro­zess, den sie in Jeru­sa­lem mit­er­leb­te, von der Bana­li­tät des Bösen. Ihr berühm­tes Zitat bezog sich zwar auf Eich­mann selbst, könn­te jedoch wohl für jeden ein­zel­nen die­ser Kon­fe­renz­teil­neh­mer über­nom­men wer­den. Alle wähn­ten sich auf der rich­ti­gen Sei­te (der Geschich­te) und plan­ten einen Zivi­li­sa­ti­ons­bruch mit tech­no­kra­ti­schem und poli­ti­schem Kal­kül. Mit „Reichs­ju­den“ wur­de anders ver­fah­ren als mit Juden in den besetz­ten Gebie­ten. Und auch dort gab es aus poli­ti­schen Grün­den Unter­schie­de im Umgang. Die Nazis haben durch die unter­schied­li­che Vor­ge­hens­wei­se ver­hin­dert, dass der Umgang mit der jüdi­schen Bevöl­ke­rung inner­halb Deutsch­lands zu Pro­tes­ten führte. 

Mei­nem Vater (*1922, +2003) war kaum eine Aus­sa­ge dar­über zu ent­lo­cken, was er nach der Macht­über­nah­me der Nazis über den Umgang mit Juden in unse­rer Hei­mat­stadt und dar­über hin­aus erfah­ren hat. In Bedburg leb­ten eini­ge Juden. Jeden­falls hat­te er als Jun­ge und Jugend­li­cher wahr­ge­nom­men, dass eini­ge jüdi­sche Bür­ge­rIn­nen (von den weni­gen, die er kann­te) plötz­lich nicht mehr da waren. Hier zähl­ten Geschäfts­leu­te. Ein älte­rer Herr hat­te gleich in der Nähe des Hau­ses der Fami­lie einen klei­nen Laden. Dort gab es unter ande­rem Bon­bons zu kau­fen. Die­ser Mann sei plötz­lich nicht mehr da gewe­sen. Spä­ter hät­te er gehört, dass der Mann Selbst­mord began­gen hat­te. Die Zusam­men­hän­ge sei­en ihm damals nicht klar gewe­sen. Jah­re spä­ter, wäh­rend des Krie­ges, sei er nach einer schwe­ren Ver­wun­dung aus Russ­land nach Hau­se gereist. Auf einem Bahn­steig hät­ten sich zwei Offi­zie­re über den Ablauf in einem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger unter­hal­ten. Er wur­de wäh­rend eines Auf­ent­hal­tes zufäl­lig Zeu­ge des Gesprä­ches. Es war 1943. 

Über­haupt war es nicht ein­fach, mit mei­nem Vater über den Krieg zu spre­chen. Er war fünf Jah­re im Krieg und fünf Jah­re in rus­si­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft (Spät­heim­keh­rer). Man soll­te also mei­nen, er hät­te viel zu erzäh­len gehabt. Mit­nich­ten. Er ver­mied das The­ma nach Mög­lich­keit. Nur wenn Alko­hol im Spiel war, kam es dazu, dass er die eine oder ande­re Geschich­te erzähl­te. Sie ende­ten oft mit sei­nen Trä­nen. Als Jun­ge woll­te ich von ihm wis­sen, ob er im Krieg Men­schen erschos­sen hät­te. Er war nor­ma­ler Gefrei­ter und MG-Schüt­ze. Er hat­te das EK 1 und das EK 2 und war Trä­ger des „gol­de­nen Ver­wun­de­ten­ab­zei­chens“. So oder so ähn­lich hat er mei­ne Fra­ge beant­wor­tet: „Ich habe immer über die Köp­fe der Leu­te geschos­sen“. Ich habs lan­ge geglaubt. Bes­ser gesagt, ich woll­te es glauben.

Kön­nen wir heu­te Leh­ren aus sol­chen his­to­ri­schen Ver­fil­mun­gen wie der Wann­see­kon­fe­renz zie­hen? Ich den­ke ja. Ers­tens müs­sen wir uns dar­über im Kla­ren sein, dass die Eska­la­ti­on von Kon­flik­ten nie­mals mehr dazu füh­ren darf, dass sich dar­aus ein Krieg ent­wi­ckelt. Manch­mal scheint die lan­ge Frie­dens­pe­ri­ode, die (mit Aus­nah­me des ehe­ma­li­gen Jugo­sla­wi­en) alle Völ­ker Euro­pas genos­sen haben, auch dazu füh­ren, dass Stim­men nach robus­te­ren Ant­wor­ten gegen Aggres­so­ren (wie Putin) rufen. Das ist schnell gesagt, die Fol­gen für uns alle wären unab­seh­bar. Die Vor­sicht soll­te uns ande­rer­seits nicht dazu ver­lei­ten, unse­re eige­ne Wehr­haf­tig­keit zu ver­nach­läs­si­gen. Das haben wir lei­der in den letz­ten Jahr­zehn­ten getan. Ein Land wie Isra­el macht das viel bes­ser. Sie wis­sen, war­um. Wir schei­nen das ver­ges­sen zu haben, viel­leicht weil wir glaub­ten, uns auf die USA für alle Zei­ten ver­las­sen zu kön­nen. Dass dies nicht der Fall ist, müss­te inzwi­schen bei allen ange­kom­men sein.

Wir brau­chen äuße­ren und inne­ren Frie­den. Wir waren von die­sem Zustand lan­ge nicht mehr so weit ent­fernt wie im Moment. Statt uns gegen­sei­tig zu bezich­ti­gen, zu beschimp­fen und zum Teil sogar zu bekämp­fen, soll­ten wir uns bewusst machen, was wir zu ver­lie­ren haben. Dabei kann ein Blick in die Ver­gan­gen­heit helfen.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

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6 Gedanken zu „Wannseekonferenz: Nie dürfen wir über Menschen so denken und reden“

  1. Den Film in den 80ern habe ich inten­siv gese­hen, der war für mich allein schon höchst ein­drück­lich. Ich hat­te den damals aufgezeichnet…jetzt ist er ja auch auf You­tube zu sehen.

  2. Gerhard 245 22. Januar 2022 um 00:32

    Du schreibst, wir soll­ten aus der Ver­gan­gen­heit lernen.
    Bei Hoimar von Dit­furth, den ich gera­de lese, erken­ne ich vie­les aus den 20ern und Dreis­si­gern wie­der, was uns auch heu­te quält.
    z.b jam­mer­te der Vater von Hoimar über die Zer­würf­nis­se und end­lo­sen Dis­kus­sio­nen im Par­la­ment der Wei­ma­rer Republik.
    „Das muss end­lich auf­hö­ren“, mein­te er. Da kam die brau­ne Hor­de gera­de recht und auch wenn der Vater sie nicht moch­te, glaub­te er, ihre Macht könn­te jeder­zeit begrenzt wer­den, denn schliess­lich gab es Hin­den­burg. Und wenn sie raus­ge­wor­fen wür­den , dann kämen die Natio­na­len, denen es echt um unse­re Nati­on gin­ge und die alles wie­der ins Lot brächten.

    Die­se Zeit ist 100 Jah­re (!!) zurück, inso­fern ler­nen wir nur wenig daraus.

  3. Den Wann­see­kon­fe­renz-Film wer­de ich noch anse­hen – ich neh­me ungern das Ers­te, was mir der Algo­rith­mus nahe legt, des­halb hab ich mit der Doku „Ganz nor­ma­le Män­ner – der ver­ges­se­ne Holo­caust“ angefangen. 

    Der Fokus liegt in die­ser Doku nicht auf den obe­ren Nazi-Funk­tio­nä­ren (wie Wann­see­kon­fe­renz), son­dern auf nor­ma­len Män­nern, die in Poli­zei­ein­hei­ten mit Erschie­ßun­gen beauf­tragt waren. Es wird gut nach­voll­zieh­bar erklärt, wie und war­um „ganz nor­ma­le Män­ner“ zu Mas­sen­mör­dern wer­den konn­ten – und dass das immer wie­der pas­sie­ren kann. Sie „muss­ten“ täg­lich Men­schen erschie­ßen und taten das über lan­ge Zeit Tag für Tag wie ganz nor­ma­le Arbeit. 

    Fakt ist: Sie MUSSTEN nicht, son­dern konn­ten den Ein­satz ver­wei­gern, ohne dass sie dafür irgend­wie bestraft wur­den. Sie muss­ten dann halt Kar­tof­feln schä­len und Latri­nen put­zen.… Aber: der Grup­pen­druck war gewal­tig, denn „wenn ich mich drü­cke, müs­sen es die Kame­ra­den machen“… und sie waren ja auch durch­weg zusam­men, kein Fei­er­abend bei Fami­lie, son­dern stets nur mit den „Kame­ra­den“.

    In einer sol­chen Situa­ti­on ent­ste­hen 3 Grup­pen, wie die Ana­ly­se der Doku zeigt:

    -> Zum einen jene, die am Quä­len und Töten Spass haben -> Sadisten

    -> Zum zwei­ten die­je­ni­gen, die tun, was ver­langt wird, nicht mehr und nicht weniger.

    -> Zum drit­ten auch eini­ge, die „sich drü­cken“ – meist nicht offen und nie mit Kri­tik am Gesche­hen, son­dern eher mit­tels Krank-Werden.

    Ja, ich kann mir gut vor­stel­len, dass das heu­te nicht viel anders ver­lau­fen wür­de, wenn die Situa­ti­on erst ein­mal so weit wäre, dass eine sol­che „Arbeit“ anstün­de. Schrecklich!

    Was das poli­ti­sche Gesche­hen angeht, den­ke ich auch oft an das, was in den 20gern vor sich ging. Die halt­lo­se Zer­strit­ten­heit der „Schwatz­bu­de Par­la­ment“. Liest man die radi­ka­li­sier­ten Impf­geg­ner und Rechts­ra­di­ka­len, tönt es aus die­ser Ecke heu­te ganz genau so!

    Mein Vater (1925 gebo­ren, mit Not­ab­itur ein­ge­zo­gen) hat aus dem Krieg auch kaum etwas berich­tet. Nur „wit­zi­ge“ Sto­ries über die „dum­men Rus­sen“ aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft. Ob er Men­schen erschos­sen hat? Er hat es geleug­net wie dein Vater! Hat behaup­tet, er hät­te im Wald Juden erschie­ßen sol­len, sie aber gehen las­sen… nein, ich glaub­te ihm das nicht und sei­ne Wei­ner­lich­keit, die mit Alko­hol auf­kam hat mich auch nicht posi­tiv berührt. „Wir [er mein­te sei­ne Fami­lie] hat­ten nichts gegen Juden, ich hat­te sogar einen jüdi­schen Freund“… bla bla bla… 

    Die­ses „nicht wir, son­dern Adolf Hit­ler ist es gewe­sen“ hat­te ja einen unglaub­li­chen Impact in der Nach­kriegs­zeit. Tau­sen­de Ver­fah­ren gab es gegen Nazi-Mit­tä­ter – und nur weni­ge wur­den wirk­lich ver­ur­teilt, man kann es kaum fassen!

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