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Antisemitismus im „deutschen“ Kulturbetrieb

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Ich dachte naiverweise sehr lange, in Deutschland gelte die Freiheit der Kunst. Wahrscheinlich gab es diese nie. Oder, was ich einräume, große künstlerisch tätige Freigeister der Vergangenheit würden, könnte man sie zum Leben erwecken, irritiert und erschüttert freiwillig die Augen sogleich wieder schließen.

Die Empörung um die klar antisemitischen Motive im Umfeld der Kasseler „Documenta“ war in einem Umfeld wie dem hiesigen wohl unvermeidlich. Die nicht gleich sichtbaren Hintergründe solcher sich möglicherweise schnell wiederholenden Ereignisse werden ausgespart bzw. erst gar nicht thematisiert.

Längst ist (seit die asozialen Netzwerke gewisse Dinge regeln) auch vieles rund um die Kunst im Sinne einer konsequent angewendeten Agenda geregelt. Wenn auch nur ein Hauch von Antisemitismus über den Dingen schwebt, umso mehr. Niemandes Leumund wird in diesem Land schon im bloßen Verdachtsfall sozial das Stigma des Antisemiten ohne Weiteres überleben.

Die Küchenpsychologen des „Spiegel“ wissen, woher der Wind weht:

Dies zeigte wiederum, was in diesem Land, trotz einer intensiv gepflegten Erinnerungskultur, immer noch los ist und was Studien auch belegen: Viel zu viele Deutsche wollen sich nach wie vor nicht klarmachen, dass es auch die eigenen Eltern, Großeltern, Urgroßeltern waren, die ihren Anteil daran hatten, dass der Nationalsozialismus funktionierte, wie er funktionierte.

Dass es hierzulande auch einen aktuellen Antisemitismus gibt, dass er schlimmer wird, erkennen zwar die vernünftigen Deutschen an. Aber sobald das Thema in die eigene Nähe rückt, ist auch hier die Abwehr groß. Linke bezichtigen Rechte des Antisemitismus, umgekehrt funktioniert es auch. LINK

Antisemitismus: Wir sind die Menschen mit Nazihintergrund – DER SPIEGEL

Mit der Kuration der Ausstellung wurde ein indonesisches Künstlerteam beauftragt. Was also hat der Eklat mit unserer deutschen Erinnerungskultur zu tun? Welche Verdrängungsmechanismen sollen versagt haben, die damit zu tun haben könnten, dass uns unsere Eltern nicht erklärt haben, wie der Nationalsozialsmus funktioniert hat? Sind die blöd? Nun, es sind auch ein paar Deutsche involviert. Allerdings doch wohl eher sehr unverdächtige Exemplare, wenn ich das so sagen darf. Hätten dieses vielleicht halbe Dutzend Politiker und Vorturner der Ausstellung mit Stechschritt über die Ausstellung huschen sollen, um die antisemitischen Teile zu finden und auszusortieren? Dies hätte uns Deutschen gut zu Gesicht gestanden, also anderen Menschen mit völlig anderen Biografien und kulturellen Hintergründen, dazu noch Künstlern, in ihrem Denken und Wirken unsere Überzeugungen aufzuzwingen.

Der Umgang mit vermeintlichem und tatsächlichem Antisemitismus wirkt auf mich seit Langem pathologisch. Aber was weiß ich schon? Schließlich bin ich zum alten, weißen Mann mutiert und meine Eltern (Jahrgang 1922, 1932) sind gemeint, wenn ich den „Spiegel“-Leuten und anderen Experten glauben möchte.

Zuvor hatten sie dem SPIEGEL gesagt, die Ereignisse in Kassel und der Umgang damit seien für das Kollektiv »ein Schock«. Und weiter: »Wir sind keine Antisemiten. Wir wissen nicht einmal, wer hier über uns urteilt. Wir lesen es nur in der Zeitung.« LINK

Documenta 2022: Taring Padi entschuldigen sich nach Antisemitismus-Vorwürfen – DER SPIEGEL

Das Künstler-Kollektiv hat um Verzeihung gebeten. Es hat sich nicht (Achtung, das ist heute superwichtig!) entschuldigt… Die aus Indonesien stammenden Künstler bedauerten schriftlich, in welchem Ausmaß die Bildsprache ihrer Arbeit die Gefühle von Menschen verletzt habe. Das Bedauern war ausdrücklich auch an die Jüdische Gemeinde in Deutschland adressiert.

Das in Teilen widerliche Kunstwerk wurde an den kritischen Stellen abgedeckt. Verlangt wird, dass das komplette Teil aus der Ausstellung entfernt wird. Dies ist inzwischen passiert.

Die Forderungen der Ankläger sind damit aber nicht erfüllt. Gegen die Chefin der „Documenta“ wurden Rücktrittsforderungen laut, ebenso gegen Claudia Roth als Kulturstaatsministerin. Die „Jüdische Allgemeine“ fordert ihn explizit und begründet die Forderung mit allerlei Fehlverhalten. Weitere Personen werden beschuldigt.

Vor dem Hintergrund ist es dann fast logisch, wenn Autoren deutscher Zeitungen das Klima für antisemitische Ausfälle dieses Ausmaßes bereitet sehen. Für mich klingen diese Ausführungen wie pauschale Vorwürfe gegen uns Bürger – nach dem Motto: in anderen Ländern wäre dieser Eklat überhaupt nicht möglich gewesen. Unter dieser Voraussetzung wäre nichts anderes zu erwarten, als dass Augen und Ohren vor den Israel – Feinden des BDS bis zuletzt verschlossen geblieben sind.

In unserem Land wächst der Antisemitismus. Das ist leider empirisch belegt und eine wahre Schande.

In unserem Land herrscht allerdings auch ein bedauerlicher Realitätsverlust. Dieser spielt sowohl im konkreten Fall der „Documenta“ eine Rolle als auch bei der Zunahme des festzustellenden Antisemitismus in Deutschland. Ein Land, das eine derart große Zahl von Menschen aus verschiedene Nationen und Kulturen Heimat bieten möchte, muss sich vorsorglich auch um die Konflikte kümmern, die sich sonst zwangsläufig weiterentwickeln und in unseren Städten entladen.

Wenn eine bedeutende internationale Kulturausstellung von einem Künstlerteam aus einem muslimischen Land kuratiert wird, werden kulturelle und politische Eigenarten jenes Landes über die Künstler zwangsläufig Eingang finden. Ich halte das für durchaus normal. Die Frage, die sich anschließt, ist logischerweise, ob die Verantwortlichen der „Documenta“ nicht nur unter dem Aspekt der Kunstfreiheit, sondern vor allem aufgrund unserer verbindlichen historischen Verpflichtungen hätten intervenieren und die fremdkuratierten Ausstellungsstücke direkt suspendieren müssen.

Das hätten wir als Aufnahmeland hunderttausender Menschen aus muslimischen Ländern und Kulturen wohl auf dem Schirm haben müssen. Ich verstehe, dass die jüdische Gemeinde Druck ausübt. Aber wir können angesichts der im Land gegebenen Voraussetzungen nichts ausrichten, wenn wir uns über diese Zusammenhänge nicht einmal unterhalten und noch viel weniger dazu bereit sind, uns mit den sich ergebenen Problemen auseinanderzusetzen.

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Horst Schulte
Herausgeber, Blogger, Autor und Hobby-Fotograf
Seit 2004 blogge ich über Politik und Gesellschaft – also seit die meisten noch SMS statt Tweets geschrieben haben. Mit 70 Jahren lebe ich immer noch im schönen Bedburg, direkt vor den Toren Kölns, und schreibe über alles, was die Welt bewegt (oder mich zumindest vom Sofa aufstehen lässt).

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Artikelinformationen:

Gesellschaft

Antisemitismus, Deutschland, Kultur, Migration

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