Krieg und Freiwilligkeit: Die Zukunft der deutschen Verteidigungspolitik

Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Boris Pis­to­ri­us’ Vor­schlä­ge zur Stär­kung der deut­schen Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit sto­ßen auf Skep­sis, wäh­rend die Fra­ge nach dem natio­na­len Zusam­men­halt und der Bereit­schaft zur Ver­tei­di­gung des Lan­des zuneh­mend an Bedeu­tung gewinnt.

5 Minute/n


Merken

2

Aus mei­ner Par­tei hört man ein­mal mehr Wider­sprüch­li­ches. Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Boris Pis­to­ri­us ver­sucht, das Land kriegs­tüch­tig zu machen. Dazu braucht es mehr Sol­da­ten – natür­lich auch Sol­da­tin­nen. Sei­ne Ideen hat er nun vorgetragen. 

Die Höl­le hat sich geöff­net (nicht nur bei X), und es war nicht anders zu erwar­ten. Wer will sich heu­te noch in die Schüt­zen­grä­ben (Sor­ry für das anti­quier­te Bild) bege­ben und sich für Kai­ser und Vater­land opfern? Angeb­lich befin­den sich 5 – 600.000 ukrai­ni­sche Män­ner irgend­wo in Euro­pa. Die haben sich abge­setzt, um dem Gemet­zel an der Front zu ent­ge­hen. Hät­te ich es in ihrer Lage anders gemacht? Eher nicht. Allein bin ich mit die­ser Ein­stel­lung sicher nicht.

Nur – was heißt das für die Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit einer Nation? 

Ich fürch­te, Pis­to­ri­us wird mit sei­ner Initia­ti­ve, die auf Frei­wil­lig­keit beruht, wenig errei­chen. Aller­dings hat­te ich auch nicht damit gerech­net, dass so vie­le jun­ge Men­schen die AfD oder ande­re demo­kra­tie­kri­ti­sche Kra­wal­los wäh­len. Viel­leicht ent­steht gera­de eine neue Nei­gung zum Natio­na­lis­mus? Die ist uns Deut­schen seit dem Ende des 2. Welt­krie­ges abhan­den gekom­men, und zwar mit Unter­stüt­zung unse­rer aus­län­di­schen Freun­de, nicht nur in Europa. 

Mit mei­nen Lebens­er­fah­run­gen aus 70 Jah­ren kann ich mir ehr­lich gesagt nicht ansatz­wei­se vor­stel­len, was es bedeu­tet, was die Men­schen in der Ukrai­ne, in Gaza oder im Sudan erlei­den. Taucht man nur kurz und auch nur theo­re­tisch in das ein, was über die Bil­der und Berich­te, die uns über die Medi­en errei­chen, hin­aus ver­mit­telt wird, wächst die Angst und doch gleich­zei­tig so etwas wie eine unheim­li­che Gewiss­heit, dass unser ver­gleichs­wei­se ruhi­ges und kom­for­ta­bles Leben abhan­den­kom­men könnte. 

Genau sol­che Ver­lust­ängs­te sind wahr­schein­lich für vie­les von dem ver­ant­wort­lich, womit wir Men­schen die zwi­schen­mensch­li­che Atmo­sphä­re nicht nur hier in Deutsch­land belas­ten. Einer­seits bekla­gen wir das, ande­rer­seits schei­nen die Aus­lö­ser für die Irri­ta­tio­nen wei­ter zuzunehmen.

Heu­te lese ich, dass der Chef der Atlan­tik­brü­cke und ehe­ma­li­ger Bun­des­mi­nis­ter, Sig­mar Gabri­el, SPD, auch mit dem Säbel ras­selt. Ja, mich erin­ner­te sei­ne Aus­sa­ge im Stern-Inter­view an das, was Macron kürz­lich über „Boden­trup­pen in Russ­land“ ver­lau­ten ließ. Das hat doch viel von Sand­kas­ten­spie­len klei­ner Jun­gen, die sich ein­an­der ihre Pan­zer abspens­tig machen und dann zu flen­nen begin­nen, wenn sie von den Erwach­se­nen aus­ge­schimpft werden.

Die Bür­ger sind nicht blöd. Wenn ein erfah­re­ner, wenn auch aus­ge­mus­ter­ter Poli­ti­ker, sol­che Din­ge an Putins Adres­se sagt, wie „Stopp die­sen Krieg – oder wir tra­gen ihn zu dir.“ pro­vo­ziert das Reak­tio­nen (und nicht nur bei X). Dass Gabri­el über­zeugt ist, dass wir mehr Druck auf Russ­land aus­üben müs­sen, ist nicht neu und erzeugt beim Publi­kum (nicht nur der AfD) genau einen Teil der Gefüh­le, die ich schon beschrie­ben habe.

Egal, wie man das kon­kret beschrei­ben mag, es läuft immer dar­auf hin­aus, dass unse­re Bevöl­ke­rung einen Mut ent­wi­ckeln müss­te, der sich in den letz­ten Jahr­zehn­ten (gewünsch­ter Wei­se) gegen­über alten Zei­ten zurück­ent­wi­ckelt hat. Aber füh­len wir uns die­sem Land gegen­über so stark ver­bun­den, dass wir dafür frei­wil­lig unser Leben ein­set­zen würden? 

Ich weiß nicht, ob bei so einer heik­len Fra­ge Rück­grif­fe in die Geschich­te hel­fen wür­den. Es gab erfolg­rei­che, aller­dings auch nie­der­ge­schla­ge­nen Wider­stand gegen Aggres­so­ren. Ich erin­ne­re nur an die Auf­stän­de in Nord­afri­ka (afri­ka­ni­scher Früh­ling), die wir mit viel Sym­pa­thie und wenig spä­ter in bösem Erwa­chen zur Kennt­nis zu neh­men hat­ten. Wir woll­ten mal wie­der Demo­kra­tie leh­ren und haben viel Anteil am schreck­li­chen Elend der Regi­on. Vom US-Krieg gegen den Irak, der anhand von Lügen von Geheim­diens­ten und Regie­rungs­chefs geführt wur­de und bis heu­te die Regi­on desta­bi­li­siert, gar nicht zu reden. 

Wir wis­sen viel (viel­leicht zu viel) über das Zustan­de­kom­men von Krie­gen, um sol­chen mar­ki­gen Wor­ten wie denen eines Rode­rich Kie­se­wet­ter oder gera­de wie­der Sig­mar Gabri­el etwas mit­zu­neh­men, dass unse­re Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit stär­ken würde. 

Mei­ne kri­ti­schen Bemer­kun­gen zu dem The­ma bedeu­ten ande­rer­seits nicht, dass ich den Ein­satz unse­rer Bun­des­wehr­sol­da­ten nicht schät­ze. Jeden­falls steht für mich außer Fra­ge, dass ich nicht erle­ben will, wie mir nahe­ste­hen­de Men­schen sich für Deutsch­land in einem Ein­satz gegen die neu­en Aggres­so­ren auf der Welt opfern. 

Einer­seits sehe ich, dass die Ukrai­ner für Frei­heit und Demo­kra­tie kämp­fen und dazu aus sich her­aus bereit sind. Aber wer will schon beur­tei­len, zu wel­chem Teil die­ser hel­den­haf­te, herz­zer­rei­ßen­de Ein­satz auf Pro­pa­gan­da oder Druck von oben beruht? 

Ich kann mir ein­fach nicht vor­stel­len, die­ses Grau­en in unse­rem Land zu erle­ben. Ich weiß ein­fach nicht, wie ich reagie­ren wür­de bzw. ob ich dazu bereit wäre, mein Leben und das mei­ner Liebs­ten für einen Kampf gegen einen Aggres­sor zu geben. 

Sol­che Befind­lich­kei­ten sind eine schlech­te Vor­aus­set­zung für die Ein­füh­rung einer wie auch immer gear­te­ten Wehr­pflicht. Wie den­ken Sie darüber?

Diesen Beitrag teilen:
0CDD5CFF 182F 485A 82C6 412F91E492D0
Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Nationalismus Russland Verteidigungspolitik Wehrpflicht

Quelle Featured-Image: German Defense Minister Boris Pistorius giving a s...

Letztes Update:

Anzahl Wörter im Beitrag: 806
Aufgerufen gesamt: 484 mal
Aufgerufen letzte 7 Tage: 24 mal
Aufgerufen heute: 2 mal

2 Gedanken zu „Krieg und Freiwilligkeit: Die Zukunft der deutschen Verteidigungspolitik“

  1. Peter Lohren 149 13. Juni 2024 um 18:14

    Ich bin für eine Wehr­pflicht, aller­dings in einer rei­nen mög­lichst euro­päi­schen Ver­tei­di­gungs­ar­mee. Wir haben sei­ner­zeit gute Erfah­run­gen mit der Wehr­pflicht gemacht, die Bun­des­wehr reprä­sen­tier­te den Quer­schnitt der Bevölkerung. 

    Vie­le sind über die Wehr­pflicht hin­aus dabei­ge­blie­ben, wie ich im übri­gen eine Zeit­lang auch. Für eine schlag­kräf­ti­ge Armee braucht es aber mehr als die Wehr­pflicht und ja, auch wenn sich das nicht schön anhört: Für die Aus­bil­dung jun­ger Sol­da­ten muss (zumin­dest in den Kampf­ein­hei­ten) der Anspruch einer bedin­gungs­lo­sen Här­te, d.h. das was in einem demo­kra­ti­schen Land gera­de noch an das Her­an­tas­ten psy­chi­scher und phy­si­scher Leis­tungs­gren­zen mög­lich ist, Aus­bil­dungs­grund­la­ge sein. Nur so kann einem mög­li­chen krie­ge­ri­schem Akt ernst­haft begeg­net wer­den, bes­ten­falls sogar zur Abschre­ckung führen. 

    Ver­bun­den­heit zum eigen Land gehört genau­so dazu, wie Rück­halt in der Bevöl­ke­rung für die Sol­da­ten. Zudem braucht eine Armee ein gewis­ses Maß an Tra­di­tio­na­lis­mus. Ob die­se Din­ge jun­gen Leu­te heu­te noch anspre­chen, darf getrost hin­ter­fragt wer­den. Ich jeden­falls bin mir da nicht so sicher.

Lass deinen Gedanken freien Lauf


Hier im Blog werden bei Abgabe von Kommentaren keine IP-Adressen gespeichert! Deine E-Mail-Adresse wird NIE veröffentlicht! Du kannst anonym kommentieren. Dein Name und Deine E-Mail-Adresse müssen nicht eingegeben werden.


✅ Beitrag gemerkt! Favoriten anzeigen
0
Share to...
Your Mastodon Instance