Ein gutes Neues – besser spät als nie

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Wir kom­men sobald aus die­ser Win­ter-Coro­na-Depres­si­on nicht raus. Das Wet­ter ist so mies, dass ich glatt Ver­ständ­nis für die Flach­land­ti­ro­ler (sprich: Coro­na-Igno­ran­ten) bekom­me, die sich par­tout den etwas freund­li­che­ren, näm­lich wei­ßen Anblick des Gan­zen gön­nen möchten. 

„Mut­ma­cher“ wie Karl Lau­ter­bach oder Jens Spahn krie­gen auch kein Bein so rich­tig auf die Erde. Der eine beglückt uns mit der Hor­ror­vor­stel­lung eines „unbe­fris­te­ten Lock­downs“, der ande­re (galt er nicht ges­tern noch als Hoff­nungs­trä­ger?) soll alles falsch gemacht haben, weil er kei­ne Ver­si­on von Ger­ma­ny First bei der Impf­stoff­be­schaf­fung zur Hand hat. Und das, obwohl zwei der Impf­stoff­er­fin­der sogar im Lan­de ansäs­sig sind.

Nun sind die Tage der Besinn­lich­keit durch ihre poli­tisch ver­ord­ne­te Ver­län­ge­rung noch nicht an ihr Ende gekom­men und vie­le erin­nern sich trotz­dem haupt­säch­lich dar­an, dass auch die­se Fei­er­ta­ge wie­der ein­mal als Kalo­rien­trei­ber fun­giert haben. Mei­ne Frau und ich genie­ßen (mit Abstri­chen) den Lock­down ohne­hin ganz­jäh­rig, aller­dings aus ande­rem Anlass. 

Ich war ent­zückt, als ich mit geplan­tem Abstand weni­ger Wie­der­gut­ma­chungs­ta­ge heu­te Mor­gen auf die Waa­ge stieg. Ich habe nicht zuge­nom­men! Das ist des­halb über­aus erfreu­lich, weil mein schlech­tes Gewis­sen ange­sichts all der lecke­ren Sachen, die wir uns in die­sen Zei­ten gönn­ten, Über­hand zu neh­men droh­te. Kanin­chen, Ente, Rin­der­fi­let. Nur Süßig­kei­ten habe ich mir ver­knif­fen. All die­ses wun­der­vol­le Mar­zi­pan, Nou­gat – na, ja – ihr wisst schon. Statt­des­sen habe ich mir abends immer­hin ein paar Gläs­chen Rot­wein geneh­migt und Nüs­se. Wegen der Ome­ga-3-Fett­säu­ren. Ihr wisst schon!

Noch mal zurück zu die­ser super­schril­len Debat­te, die die Impf­ver­zö­ge­rung aus­ge­löst hat. Lars Kling­beil, SPD-Gene­ral­se­kre­tär, ver­sucht sich an die Spit­ze der Kri­ti­ker des Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­ters zu set­zen. Jeden­falls lese ich schon seit ein paar Tagen immer wie­der von Kling­beils teil­wei­se berech­tig­ter Kritik. 

Ja, es war viel­leicht nicht beson­ders klug, dass die deut­sche Regie­rung mit immer­hin in Sachen Coro­na-Impf­stoff zwei gut im Ren­nen lie­gen­den Phar­ma­fir­men (BioNTech und Cur­e­vac) die Beschaf­fungs­ver­ant­wor­tung in die bewähr­ten Hän­de der EU leg­te. Waren es nicht just die glei­chen Leu­te, die im ver­gan­ge­nen Jahr mas­si­ve Kri­tik am unko­or­di­nier­ten Han­deln auf euro­päi­scher Ebe­ne übten. Jetzt bekla­gen sie sich laut­stark dar­über, dass es nicht vor­an­geht. Wenn Gren­zen auf­grund der Aus­brei­tung der Pan­de­mie schnell geschlos­sen wer­den müs­sen, kann kein Kon­zil aller Mit­glieds­staa­ten mit den natur­be­ding­ten Ver­zö­ge­run­gen ein­be­ru­fen wer­den, son­dern es muss gehan­delt wer­den – schnell und konsequent. 

Der EU wur­de lei­der zu Recht ange­krei­det, dass man­geln­de Hand­lungs­fä­hig­keit zuguns­ten demo­kra­ti­scher Pro­zes­se nicht sach­ge­mäß waren. Weil man sich Ver­zö­ge­run­gen nicht leis­ten konn­te, blieb der poli­ti­sche Moloch außen vor. Zum Glück [sic?] funk­tio­nier­ten wenigs­tens bila­te­ra­le Ver­ein­ba­run­gen (sie­he NRW, Nie­der­lan­de, Bel­gi­en). Die Gren­zen blei­ben offen.

Viel wird über feh­len­de Stra­te­gien gespro­chen. Wenn spe­zi­ell die­ser Man­gel aus­ge­rech­net von der SPD kri­ti­siert wird, könn­te ich wei­nen. Die Par­tei ist abge­schrie­ben. Sicher ist es nur eine Fra­ge der Zeit, bis die neue Par­tei­füh­rung als die alte in die Geschich­te ein­geht. Halt nein, eben das wird sie mit an Sicher­heit gren­zen­der Wahr­schein­lich­keit eben nicht tun. Josch­ka Fischer hat neu­lich in einem NZZ Inter­view die Hal­tung des Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den im Bun­des­tag, Rolf Müt­zenich, kri­ti­siert. Aus mei­ner Sicht völ­lig zu Recht. Der Regie­rungs­wech­sel in den USA ändert dar­an nichts. 

Da wird der Weg in die Oppo­si­ti­on vor­be­rei­tet. Und der führt weit weg von der Rea­li­tät. Wenn ich Herrn Müt­zenich zuhö­re, kom­me ich aus dem Kopf­schüt­teln nicht mehr raus.

Der deut­sche Ex-Aus­sen­mi­nis­ter Josch­ka Fischer im Interview

Ich den­ke, Deutsch­land muss die lan­ge getrof­fe­ne Ver­ein­ba­rung ein­hal­ten. Die geo­po­li­ti­schen Ver­än­de­run­gen sind der­art offen­sicht­lich, dass es auch den glü­hends­ten Pazi­fis­ten ein­leuch­ten muss, dass wir eine Armee brau­chen, die nicht nur auf dem Papier existiert. 

Übri­gens hat Deutsch­land neben den Kon­tin­gen­ten, die über die EU beschafft und ver­teilt wer­den, wei­te­re 30 Mil­lio­nen Impf­do­sen des BioNTech/Pfi­zer-Vak­zins bestellt. Wie ande­re EU-Län­der über die­sen „Son­der­deal“ den­ken, ließ sich sehr leicht vor­her­sa­gen. Wie man erfuhr, sol­len die Ver­säum­nis­se auf euro­päi­scher Ebe­ne auch dar­auf zurück­zu­füh­ren sein, dass dort die fran­zö­si­schen Inter­es­sen (Sano­fi) mas­siv ver­tre­ten wur­den. Sano­fi hät­te sich aber – laut Medi­en­be­rich­ten – als nicht immer zuver­läs­si­ges Unter­neh­men erwiesen. 

Der Focus-Kolum­nist, Jan Fleisch­hau­er, kri­ti­siert mas­siv, dass Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel in die­sem Fall nicht gehan­delt habe und wirft ihr des­halb das schwers­te Ver­säum­nis ihrer gesam­ten Amts­zeit vor. Eine klei­ne­re Mün­ze steht die­sem Stich­wort­ge­ber des bun­des­deut­schen Que­ru­lan­ten­tums nicht zur Verfügung!

Ande­rer­seits ist es ange­sichts die­ser schwe­ren Kri­se mit vie­len Erkrank­ten und Toten nicht ver­mit­tel­bar, dass ein im eige­nen Land ent­wi­ckel­tes Vak­zin woan­ders (USA, GB, Isra­el) bereits in gro­ßer Anzahl ver­impft wird, unse­re Bevöl­ke­rung aber dar­auf war­ten muss. Da ist es kein Trost, dass es in ande­ren Län­dern, z. B. Frank­reich der­zeit noch viel düs­te­rer ausschaut. 

Etwa­ige Ver­zö­ge­run­gen wer­den Men­schen­le­ben kos­ten. Inso­fern ist der Vor­gang bri­sant. Nur ist eben­so ein­leuch­tend, dass bei einem so gewal­ti­gen Pro­jekt Feh­ler pas­sie­ren. Dazu gehört neben all­ge­mei­nen poli­ti­schen und orga­ni­sa­to­ri­schen Fra­gen auch, dass die in die­sem Fall gewähl­te Arbeits­tei­lung (Beschaf­fung durch die EU) Ver­ant­wor­tung ver­teilt wird. Die Eigen­ar­ten des föde­ra­len Sys­tems im eige­nen Land haben, gera­de was dies anlangt, nega­ti­ve Sei­ten offengelegt. 

Wie soll­te es bei die­sem gigan­ti­schen und völ­lig tech­no­kra­tisch orga­ni­sier­ten Gebil­de wie der Euro­päi­schen Uni­on anders sein? Wie könn­te unse­re Regie­rung die „Neben­her­be­schaf­fung“ von 30 Mil­lio­nen Impf­do­sen plau­si­bel erklä­ren? Es ist ein Aus­druck man­geln­den Ver­trau­ens in die Institution. 

Die Süd­deut­sche Zei­tung schrieb, dass die Dis­kus­sio­nen um die Ver­tei­lung des Impf­stof­fes nur in Deutsch­land so vehe­ment geführt wer­de. Hier füh­le man sich offen­bar benach­tei­ligt. Das schreibt die SZ der Kam­pa­gne der Bild-Zei­tung zu, die das The­ma seit Tagen hoch­ge­jazzt habe.

Die Welt sieht das ganz anders. Sprin­ger halt. Zudem bie­tet das Trau­ma der Flücht­lings­kri­se für die Natio­na­lis­ten­ge­mein­de unter den Lesern von Welt-Online das ent­spre­chen­de Forum für jede Kri­tik an unse­rer Regierung.

? Aus­zug: Die Bla­ma­ge der deut­schen Poli­tik und Ver­wal­tung ist bei­spiel­los. Wie beim Kon­troll­ver­lust in der Flücht­lings­kri­se 2015 zei­gen Bun­des­re­gie­rung und Bun­des­kanz­le­rin erstaun­li­che Schwä­chen bei der Bewäl­ti­gung natio­na­ler Kri­sen. Wäh­rend in Isra­el Impf-Dri­ve-ins rei­bungs­los funk­tio­nie­ren, gelingt es Bezirks­äm­tern in Hot­spots wie Neu­kölln über Tage nicht ein­mal, die Zah­len von Neu­in­fek­tio­nen zu mel­den. Der Impf­stoff fehlt aller­or­ten, und wenn in Rends­burg-Eckern­för­de täg­lich 60 Impf­do­sen ver­impft wer­den, dau­er­te es bis 2033, alle Ein­woh­ner zu bedienen.% 

Welt online

Mir per­sön­lich gefällt die Sicht­wei­se der TAZ zum Teil bes­ser. Aller­dings ist es etwas offen­sicht­lich, und es hat ein Geschmäck­le, wenn hier die EU von Ver­ant­wor­tung frei­ge­spro­chen wird und statt­des­sen der deut­schen Regie­rung die Schuld zuge­wie­sen wird. Die Grü­nen sind halt noch nicht in der Verantwortung…

Wenn es nur sehr begrenz­te Men­gen eines Stoffs gibt, auf den die gan­ze Welt scharf ist, dann führt das zu einer Ver­knap­pung. Nichts ande­res ist beim Coro­na-Impf­stoff der Fall, der glo­bal Mil­lio­nen Leben ret­ten kann, des­sen Men­ge der­zeit aber nicht aus­reicht, um sofort in Mil­lio­nen Dosen in Deutsch­land gespritzt zu wer­den. Ein sol­cher Man­gel führt zu Schuld­zu­wei­sun­gen. Weil ein Groß­teil der Bestel­lun­gen die­ses Impf­stoffs über die EU erfolgt ist, so die ein­fa­che Schluss­fol­ge­rung, muss Brüs­sel auch ver­ant­wort­lich für die­sen deut­schen Miss­stand sein. Doch die­se Logik ist falsch und gefährlich.

TAZ

Ich erin­ne­re mich, dass nach der Brexit-Ent­schei­dung der Bri­ten wie­der ein­mal von Refor­men gere­det wur­de. Es gibt, wenn ich es rich­tig in Erin­ne­rung habe, Arbeits­krei­se, die sich mit dem The­ma befas­sen. Viel her­um­ge­kom­men ist dabei bis­her nicht. Jeden­falls erken­ne ich kei­ne Refor­men, die die EU in den Augen der Men­schen ihrer Mit­glieds­staa­ten attrak­ti­ver machen wür­den. Wenn Schott­land mehr­heit­lich für den Aus­tritt aus Groß­bri­tan­ni­en votie­ren soll­te und die EU als „Hei­mat“ vor­zieht, so soll­te man die Moti­ve der Schot­ten zunächst hin­ter­fra­gen, bevor man womög­lich über die­sen Schritt laut jubelt. Viel­leicht sind die­se nicht so ver­schie­den von denen der Polen, Ungarns oder Tschechiens?

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Corona Kritik lauterbach Spahn

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