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Mitgefühl, Empathie. Alles gut und schön.

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von Horst Schulte

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Als die Bundeswehr nach Afghanistan geschickt wurde, nachdem Schröder den Amis unsere uneingeschränkte Solidarität versichert hatte, war das eher als Racheakt gemeint. So habe ich den Krieg von Anfang an gesehen. Man wollte Al Kaida und die Taliban für das bluten lassen, was sie und ihre Führer dem Volk der mächtigsten Nation der Welt angetan hatten.

Statt sich schnell wieder zu verziehen, nachdem der Job einigermaßen erledigt war, zog die Politik es vor, das afghanische Volk nachhaltig von der Tyrannei zu befreien und ihnen ein alternatives Gesellschaftssystem zu verpassen. Nationbuilding im Sinne des American Way Of Life. Ich streiche die Polemik und ersetze das durch das Wort Demokratie. Demokratie soll auf korruptem Boden gedeihen?

Die Verbündeten spielten jedenfalls mit. Man glaubte sich in der Pflicht. Ein gerechter Krieg würde geführt werden. Also nicht einer von der Sorte, die wenige Jahre später mit Lug und Trug westlicher Regierungen gegen den Irak begonnen wurde. Dass verbrecherische Militärs Zivilisten getötet haben und das durch Helden wie Julian Assange öffentlich gemacht wurde, scheint heute keinen mehr zu interessieren. Der Mann fristet sein Dasein in einem englischen Gefängnis, weil keine westliche Nation den Mut aufgebracht hat, ihm politisches Asyl zu gewähren. Auf Assange warten 175 Jahre Gefängnis, weil er Verbrechen der USA aufgedeckt hat.

So kam es, dass in den Jahren insgesamt 150.000 deutsche Soldatinnen eingesetzt wurden, 59 davon starben, 35 im Kampfeinsatz oder durch Attentate. Jene Attentate für die islamistischen Verbrecher weltberühmt sind und sich nicht auf deren heimatliche Gefilde beschränkten.

Manche Leute in den USA wollten diesen sinnlosen Kampf gegen die religiösen Fanatiker eher beenden. Die Entscheidung jedoch blieb Trump überlassen, Biden setzte es um mit bemerkenswerter Konsequenz. Jetzt sagen Kommentatoren (jedenfalls hier in Deutschland), dass sich diese Entscheidung Bidens noch als sein schwerster außenpolitischer Fehler erweisen könnte. Ausgeschlossen ist das nicht, weil alles in erster Linie davon abhängt, wie die Medien ein möglichst emotionales Framing inszeniert bekommen.

Die Taliban hatten „versprochen“, sich den großen Städten vorerst nicht zu nähern. Die Amis haben das geglaubt. Wie die Barbaren in den Regionen, in denen sie bisher nichts zu sagen hatten, wüten werden, bleibt zwar abzuwarten. Für Optimismus besteht diesbezüglich allerdings kein Anlass. Es wird berichtet, dass Hunderttausende von Menschen auf der Flucht sind. Der UNHCR berichtet, dass allein seit Mai 244.000 Menschen ihre Heimat verlassen haben. Seit Anfang dieses Jahres waren es bereits fast 400.000.

Deutsche Medien berichten derweil mit beschwichtigendem Grundton, dass die Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan steigen werde. Sollte uns das wundern, angesichts der Tatsache, dass wir Deutsche das zweitstärkste Truppenkontingent nach den USA gestellt haben? Oder hat das mit dem Grad an Verantwortung für dieses Elende nichts zu tun?

Biden sagte, dass es jetzt die Aufgabe des afghanischen Volkes sei, die Dinge im Land zu regeln. Man werde das Land mit Militärausrüstung und finanziell unterstützen. Mit anderen Worten: Rein gar nichts, was wir in den nächsten Monaten und Jahren aus Afghanistan hören werden – und ich glaube, das wird nichts Gutes sein! – wird dazu führen, dass die Amis oder einer ihrer Verbündeten militärisch intervenieren werden.

Ich finde das richtig und wir hätten uns viel früher aus dieser merkwürdigen Solidarität verabschieden müssen. Also eigentlich so, wie wir es doch ständig getan haben und wohl auch weiter tun. Dass mit dem Einsatz der Bundeswehr, von dem Ex-Verteidigungsminister Peter Struck (+), SPD, vor Jahren im speziellen Fall von Afghanistan einmal sagte, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde, dürfte jedenfalls nicht auf andere Einsatzorte übertragbar sein. Deutsche Soldaten sollten – wie es lange selbstverständlich war – keine wie auch immer gearteten Militäreinsätze übernehmen. Erst dann, wenn Deutschland angegriffen würde, ändert sich das. So sollte es sein, als die Bundeswehr gegründet wurde. Dann kam die uneingeschränkte Solidarität. Allerdings hatte Rot-Grün diese Regel schon vorher außer Kraft gesetzt.

So brutal Bidens Aussage ist, fremde Nationen sollten sich nicht in interne Angelegenheiten eines Landes einmischen. Schon gar nicht militärisch.

Dass der Rückzug existenzielle Auswirkungen auf viele Menschen in Afghanistan hat, ist eine beklemmende Erkenntnis. Es ist uns nicht möglich, all die Menschen vor der Rache der Taliban zu schützen, die jetzt geschützt werden müssten. Das Minimum an Freiheit, das manche Afghaninnen und Afghanen in den Jahren schätzen gelernt haben, kann nicht mit Waffengewalt auf Dauer verteidigt werden – so sehr wir uns das auch wünschen mögen.

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9 Gedanken zu „Mitgefühl, Empathie. Alles gut und schön.“

  1. Wie viele andere, hab ich auch davor gewarnt. Man geht nicht ins ferne Ausland um da per Gewaltexzess eine „Demokratie“ aufzubauen. Sowas muss heute noch immer laufen, wie anno dazumal bei den Franzosen.
    Es ist schlimm für die Leute dort (aus unserer Sicht). Was wäre aber, wenn wir nie da gewesen wären?
    Wenn man aber schon so blöd ist und meint das zu schaffen, was weder die Briten mit ihrem stolzen Empire, noch die Russen, noch sonst irgendwer dort geschafft haben, hinzubekommen, dann musss man natürlich seine Helfer mit evakuieren, wenn alles (wie zu erwarten war) scheitert. Man wäre aber am Besten nie da gewesen!
    Dieses Land war, ist und bleibt so wild und fremd für uns, wie Marxloh für die Polizei in NRW.
    Strucki war einfach zu oft von der Harley gestürzt und anschließend gegen den Glaskasten vom Bundestag gelaufen, um da noch ein vernünftiges Wort herausbringen zu können.
    Das was jetzt in Afghanistan passiert, war nur das, was wir als Besatzer bisher verhindern wollten. Im 30jährigen Krieg hätte da bei uns auch keiner mitgespielt.
    Klingt barbarisch, aber ist so. Für Friede, Freude, Eierkuchen benötigst Du auch die Mitspieler. Wenn keiner darauf Bock hat, läuft das anders.
    Du kannst natürlich deswegen dort immer wieder ein- und ausmaschieren, nur ändert sich deswegen nix an der Ursache.
    Wann sind uns Deutschen nur die Fragen nach Ursache & Wirkung, sowie Potenz & Tendenz abhanden gekommen? Vor 200 Jahren? Kommt das in etwa hin? Wir haben in Afghanistan etwa soviel verloren, wie die Amis noch bei uns.
    Ob die Afghanen auch ein Schild „Out Of Bounds!“ hängen haben lassen?
    Den Terror müssten wir erst mal hier in den Griff bekommen, bevor wir meinen, da anderweitig tätig sein zu können.

  2. Die Ereignisse bringen Menschen, die nie dafür waren, dort einzumarschieren, in die Situation, das Abhauen der westlichen Militärs zu bedauern. Immerhin hat man den Afghanen einst versprochen, erst zu gehen, wenn ein stabiler Rechtsstaat etabliert ist. Und viele haben auch darauf gesetzt, haben sich gebildet, Abschlüsse gemacht, Existenzen und Unternehmen gegründet, ein modernes Leben geführt.

    Was gerade ganz besonders schmählich ist: das Verhalten der Bundesregierung in Bezug auf die Ortskräfte, die sich zu recht vor der Rache der Taliban fürchten. Erst 1700 wurden ausgeflogen, tausende warten und verlieren langsam die Hoffnung. USA und GB haben extra nochmal Truppen geschickt, um den Abzug ihrer Landsleute UND der Ortskräfte zu sichern. Es gibt sogar eine „Luftbrücke“ mit täglichen Flügen,

    Und Deutschland? Bräsige Stille und dann unklares Geschwurbel. Kürzlich hat sich sogar Merkel mit den Taliban getroffen, anscheinend um Zusagen zum „Schutz der verbliebenen Ortskräfte“ zu bekommen. Ich denke mal, da wurde auch Geld versprochen, anders ist das Statement von Heiko Maas kaum zu verstehen, der damit droht „keinen Cent mehr zu bezahlen“, sollte da passieren, was alle erwarten: Dass die Taliban sich an gar nichts halten wie auch bisher und die Ortskräfte massakrieren, sobald sie ihrer habhaft werden.

    Grade gelesen: Die Luftbrücke der USA will unsere Regierung NICHT nutzen.
    Diffus ist von vielleicht ein bis zwei Charterflügen am Ende des Monats die Rede – ein Tropfen auf den heißen Stein, wenns denn überhaupt passiert.

    Man hat es offenbar lieber, dass die Leute auf die Fluchtrouten gehen, da hat man evtl. noch die Chance, sie von Erdogan aufhalten zu lassen – es ist ein derart beschämendes Verhalten, ich fasse es nicht!

  3. Warum riskiert die Regierung Ansehen bzw. ihren Ruf? Weil sie genau weiß, dass es der Mehrheit der Deutschen glatt am Arsch vorbeigeht, was mit den Leuten in Afghanistan passiert. Sie halten es wie die Amis. Aus den Augen aus dem Sinn. Ich glaube, wir sind es zumindest den Menschen schuldig, sie nach Deutschland in Sicherheit zu bringen, die für unsere Leute dort gearbeitet haben. Es ist kein übertriebenes Szenarium, das man sich für sie unter den neuen Bedingungen ausmalen muss. Deshalb wäre das ein Gebot der Menschlichkeit und der Fairness. Aber wir wissen ja nur von 2000, die dafür überhaupt nur infrage kämen. In Wahrheit sind es vlt viel Mehr Menschen. Und dann kannst du dir vorstellen, was hier (kurz vor der Wahl noch dazu) los wäre. Es ist widerlich und beschämend. Aber es ist auch irgendwie so deutsch.

  4. Wären wir nie dagewesen, hätten wir zumindest nicht die Verantwortung. Die Untaten der Barbaren hätten vermutlich auf einem gewissen Level stattgefunden. Aber jetzt haben sie ein klares Ziel vor Augen. Die Kollaborateure waren immer klare Ziele in solchen Fällen. Übrigens auch nach dem Zusammenbruch des dritten Reiches.

    Die Terroristen haben weniger Gründe, uns zu terrorisieren. Schließlich verlassen wir ja ihr heiliges Land. Angeblich gings bei vielen Terroranschlägen ja immer nur darum, das eigene Territorium zu schützen. Wers glaubt…

    Wir haben Angst um unser „bisschen“ Leben. Die nicht. Und das ist exakt der bedeutendste Unterschied zwischen solchen Kerlen und unseren Leuten. Wir werden das nie verstehen. Obwohl wir uns durchaus zu eigenen, wenn auch anders motivierten Grausamkeiten verleiten lassen. Wer glaubt sicherstellen zu können, dass die westliche Denkweise auf die Mehrheit der Menschen in Afghanistan zu übertragen wären? Und wer denkt, dass wir die z.B. von Ahmad Mansour gehegte Hoffnung Realität werden lassen könnten? Ich bin heute weit entfernt von solchen Utopien. Kriege sind bestimmt kein Mittel, um Menschen das näherzubringen, was wir unter Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verstehen.

  5. Bei den „Ortskräften“ lässt sich das Herholen mit Sicherheit weit besser vermitteln als ein erhöhter Zulauf über Fluchtwege!
    Den Aspekt von „nicht im Stich lassen, haben für uns gearbeitet, werden DESHALB jetzt verfolgt“ kann man m.E. sogar vielen AFD-lern noch beibringen. Zudem: das sind keine ungebildeten Bauern irgendwo vom Land, sondern gebildete Städter!

    Deshalb gibt ja soviel Scham und Ärger und sogar Privatinitiativen, nicht nur von Soldaten, auch von Zivilen. Habe auch selbst ein bisschen für Rückholung / Flugtickets gespendet – es ist einfach eine Sauerei, die Leute den Taliban zu überlassen!

    Aus einem Spiegel-Artikel:

    „Wegen des Schutzprogramms gab es Ärger innerhalb der Bundesregierung. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) setzte sich für eine großzügige Aufnahme früherer Helfer der Bundeswehr ein, aus dem Innenressort und dem Entwicklungsressort kam indes Widerstand. “

    Ein Widerling, dieser Seehofer! Steht kurz vor dem Altenteil und könnte doch zum Abgang ein wenig menschlicher werden – aber nix!

  6. Es hieß ja zuerst, dass alle, die die Bundeswehr unterstützt haben, hierher geholt würden. Was daraus geworden ist, sehen wir nun. Diesen Politikern darf man nicht vertrauen. Du hast recht, und Seehofer ist nicht der einzige.

  7. Immerhin: die Bundesregierung hat es geschafft, Bier, Wein, Sekt und einen 27 Tonnen schweren Gedenkstein aus #Afghanistan zu evakuieren.

    Quelle: DER SPIEGEL Nr. 26 / 26. 6. 2021 via Silvio Duwe /Twitter

    Ich verfolge gerade die Vorgänge während der Machtübernahme der Taliban in Kabul – auf Al Jazeera TV und Twitter. Unsere Sender bieten nichts vergleichbares. Sogar CNN ist weniger informativ, da sich da vieles um Schuldzuweisungen und Vorwürfe an amerik. Präsidenten dreht, weniger um die aktuellen Ereignisse, ihre Deutung und Folgen.

  8. @Claudia, es ist nur furchtbar. Und unsere Regierung veranstaltet wieder ein Trauerspiel, das auch an Peinlichkeit kaum mehr zu überbieten ist. Diese Leute sollte man doch zum Teufel jagen.

  9. Auch lustig, dass die Evakuierungsflüge der Deutschen am Montag beginnen sollen. Stellen wir uns mal die damalige Ostfront mit „Hoch die Hände, Wochenende!“ vor. Es würde allerdings schon ziemlich witzig anmuten, falls die Taliban dann Milde walten lassen würden. „Ach das sind halt die Deutschen, die haben das verpennt…“
    Dann steckten wir gleich doppelt in der Bredouille.

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