Handwerk und Kommunikation in der Politik

HS230625

Horst Schulte

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In einem Talk im ÖRR dis­ku­tier­te man über die Qua­li­tät der Regie­rungs­be­schlüs­se zum Haus­halt. Das kann, das muss sein! Wenn Dis­kus­sio­nen schließ­lich aber dar­in mün­den, dass die Regie­rungs­fä­hig­keit nicht nur der Regie­rung, son­dern gleich aller demo­kra­ti­schen Alter­na­ti­ven in der Öffent­lich­keit infra­ge gestellt wird, ist das zumin­dest ein­mal ein schlech­tes Zeichen. 

Demokratie und Rückhalt

Die Demo­kra­tie ver­liert an Rück­halt, wenn sol­che Ansich­ten Schu­le machen. Umfra­gen und Stu­di­en zei­gen einen besorg­nis­er­re­gen­den Trend. Wenn das Publi­kum bei zuschau­er­rei­chen Talks wie Ill­ner oder Lanz sol­che immer auch durch aktu­el­le Tages­po­li­tik aus­ge­lös­ten Wer­tun­gen immer häu­fi­ger hört und liest, ist das im Sin­ne der demo­kra­ti­schen Sta­bi­li­tät bedenk­lich. Umso mehr, als wir doch wis­sen, dass der Deut­sche an sich eigent­lich wenig Sym­pa­thie für ewig strei­ten­de Poli­ti­ker hat. Dass ein poli­ti­scher Dis­kurs oft nur dann etwas bringt, wenn es auch mal lei­den­schaft­lich zugeht, ist trotz­dem rich­tig. Aller­dings ist das Thea­ter, das die Ampel uns zumu­tet, einen Tick übertrieben.

Obwohl uns Deut­schen eine gewis­se Vor­lie­be fürs ruhi­ge Durch­re­gie­ren nach­ge­sagt wird und wir poli­ti­schen Streit ten­den­zi­ell ableh­nen, könn­te oder soll­te man ein­se­hen, dass in so schwie­ri­gen Zei­ten unter­schied­li­che Stand­punk­te und abwei­chen­de Lösungs­vor­stel­lun­gen nahe­lie­gen. So man­che Dis­kus­si­on ist des­halb nötig. Zum Woh­le des Gan­zen. Die Rol­le der Oppo­si­ti­on ist aller­dings eine ande­re. Die FDP wird das nie lernen.

Vertrauensverlust und Unverständnis

Das Pro­blem ist, dass Tei­le des fest­zu­stel­len­den Ver­trau­ens­ver­lus­tes, den wir nach der lan­gen Regie­rungs­zeit Mer­kels, mit all den so spät offen­ge­leg­ten Ver­säum­nis­sen und Feh­lern, so ange­wach­sen ist, dass schon vor 2021 viel Ver­trau­en in die Hand­lungs­fä­hig­keit der Demo­kra­tie ver­lo­ren ging. Dafür gibt es mehr Anhalts­punk­te als „nur“ die hohen Umfra­ge­wer­te der AfD. Oder wie soll­te man die über­hand­neh­men­den, sehr abfäl­li­gen Kom­men­ta­re in den aso­zia­len Medi­en deuten?

Die aktu­el­le Ver­tei­di­gungs­li­nie der Demo­kra­ten schließt ein, die AfD zu ver­bie­ten. Als ein Argu­ment für das Ver­bot kann man anfüh­ren, dass unse­re Geschich­te im Hin­blick auf den Natio­nal­so­zia­lis­mus ein­zig­ar­tig ist und die­se sich nicht wie­der­ho­len dür­fe. Das stimmt aber so nicht. Es gab auch in ande­ren Län­dern natio­na­lis­ti­sche, faschis­ti­sche Bewe­gun­gen, die anti­de­mo­kra­tisch wirk­ten, wenn auch mit ande­ren Aus­prä­gun­gen und Fol­gen. Wir sind heu­te jeden­falls umzin­gelt von Nach­barn, deren Regie­run­gen natio­nal gepräg­te Schwer­punk­te set­zen. Wie ist es mög­lich, dass trotz einer jahr­zehn­te­lan­gen demo­kra­tisch-libe­ra­len Tra­di­ti­on und einem Pro­jekt namens EU nun die Natio­na­lis­ten auftrumpfen? 

Die Fra­ge ist leicht zu beant­wor­ten. Sich auf euro­päi­scher Leben zei­gen­de Des­in­te­gra­ti­ons­ten­den­zen wur­den igno­riert. Nach dem Brexit soll­ten Refor­men statt­fin­den. Gesche­hen ist NICHTS! Die EU-Euro­pä­er, die heut­zu­ta­ge Freu­de dar­an haben, wie sich die Bri­ten mit ihrem wirt­schaft­li­chen Nie­der­gang quä­len, kön­nen nicht sicher sein, ob die­ser Ent­scheid auf lan­ge Sicht nicht Posi­ti­ves bewirkt. Gut, danach sieht es im Moment wohl nicht aus. Man kann für die EU sein (wie ich) und den­noch viel Kri­tik an ihr üben. Im nächs­ten Jah­re wer­den die Wah­len zei­gen, ob die euro­päi­schen EU-Natio­na­lis­ten die Insti­tu­ti­on von innen her­aus spren­gen kön­nen. Sie wer­den sich Mühe geben, so viel ist sicher.

Alternativen?

Es gibt eine (für mich erschre­ckend schnell) wach­sen­de Zahl von Men­schen, die die AfD wäh­len wol­len. Ich hal­te das für schlimm! Im Gegen­satz zu vie­len Ver­tre­tern der demo­kra­ti­schen Par­tei­en unse­res Lan­des muss ich mich nicht mit Wer­tun­gen über die­je­ni­gen zurück­hal­ten, die die Nei­gung haben, eine anti­de­mo­kra­ti­sche, sys­tem­feind­li­che Par­tei zu wäh­len. Wäh­ler­be­schimp­fun­gen sind Tabu, obwohl… ich fin­de, die­se Wäh­ler haben ver­dient, dass sie beschimpft werden.

Ich wer­de nächs­te Woche 70 Jah­re alt und wür­de am liebs­ten nicht mehr wäh­len, weil ich das, was uns die ande­ren Par­tei­en zumu­ten, kaum noch ertrage. 

Die Ampel-Regie­rung hat laut einer Ana­ly­se bereits knapp zwei Drit­tel der Vor­ha­ben aus dem Koali­ti­ons­ver­trag umge­setzt oder ist sie ange­gan­gen. Trotz vie­ler Streitthemen.

ZDF

Die Ampel-Koali­ti­on macht kei­nen schlech­ten Job. Ich mache mein Urteil natür­lich nicht an dem Geze­ter über die Haus­halts­pro­ble­me fest. Ich habe ver­gan­ge­ne Woche gehört, dass ca. 2/​3 der im Koali­ti­ons­ver­trag ver­ein­bar­ten Pro­jek­te von der Ampel bereits umge­setzt wur­den. Das ist doch kei­ne schlech­te Bilanz, fin­de ich. Viel­leicht erweist sich die­se Regie­rung in der ver­blei­ben­den Zeit (sofern sie denn durch­hält) als deut­lich bes­ser als ihr Ruf. Die­sen haben Merz-Oppo­si­ti­on und gewis­se Medi­en (Sprin­ger, Focus etc.) ohne­hin zu einem gro­ßen Teil auf dem Gewis­sen. Ich wünsch­te, eine Ära Merz, soll­te sie denn kom­men, wird von eben­sol­cher Unflä­tig­keit begleitet.

Die Uni­on geriert sich als die poli­ti­sche Kraft, die es im Gegen­satz zur Scholz-Koali­ti­on hin­be­kommt, den für den Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess erfor­der­li­chen Rie­sen-Etat auf ver­fas­sungs­kon­for­me Art und Wei­se auf­zu­stel­len. Wer’s glaubt…

Haushaltspolitik zuungunsten einer Menge Menschen

Die Uni­on wür­de eine ande­re Haus­halts­po­li­tik machen. Das ist wahr­schein­lich, wenn auch nicht alles anders sein wür­de. Sie wür­de (mit­hil­fe der AfD und den Libe­ra­len, falls die­se bei Neu­wah­len im Par­la­ment blie­ben) den Sozi­al­staat schlei­fen. Und zwar bis zur Unkennt­lich­keit. Dafür steht Fried­rich Merz. Ver­lie­rer bei Neu­wah­len wäre durch den zu erwar­ten­den Erd­rutsch­sieg der Kon­ser­va­ti­ven und Rech­ten auch der Kli­ma­schutz, denn die (wie Uni­on und Tei­le der Pres­se behaup­ten) teu­ren Maß­nah­men, die als Habecks Lieb­lings­pro­jek­te dif­fa­miert wer­den, wür­den kei­ne Prio­ri­tät mehr erhal­ten. Merz’ Ein­las­sun­gen übers Heiz­ge­setz sind unmiss­ver­ständ­lich. Ich wür­de gern Mäus­chen spie­len, wenn Merz mit Lin­ne­mann und den ande­ren abfäl­lig über die Maß­nah­men gegen den Kli­ma­schutz reden. Sol­che Poli­tik benö­tigt kei­ner, der noch alle Sin­ne bei­ein­an­der hat.

Aufwiegeln mit Destruktivität

Es ist kei­ne Über­ra­schung, wie sich die deut­sche Öffent­lich­keit von Medi­en, die eben­falls den Schuss nicht gehört haben, gegen alle prag­ma­ti­schen Ansät­ze der Ampel auf­wie­geln lässt. 

Wir las­sen uns zwar per­ma­nent erklä­ren, dass wir auf­grund äuße­rer Ein­flüs­se ärmer wer­den, sind dann aber doch bass erstaunt, wenn die­se Ankün­di­gun­gen Rea­li­tät wer­den. Wir wol­len nicht ver­ste­hen, dass es einen zeit­li­chen Ver­satz zwi­schen Fest­stel­lun­gen, Ent­schei­dun­gen und Wir­kun­gen gibt. So dumm sind die Men­schen – trotz all der Infor­ma­tio­nen, die zur Ver­fü­gung stehen.

Wir gin­gen davon aus, dass der CO₂-Preis als Steue­rungs­in­stru­ment spä­ter wirk­sam wür­de. Nun wird der Preis je Ton­ne von 30 auf 45 EUR erhöht. Das wirkt sich mit 4 – 5 Cent je Liter bei Sprit aus. Auch Öl und Gas ver­teu­ern sich. Bis­her hat man die regu­la­to­ri­sche Wir­kung eines CO₂-Prei­ses mehr oder min­der gedros­selt, in dem der Preis bei 30 EUR /​Ton­ne gehal­ten wur­de. Auch das ändert sich durch die Haus­halts­be­schlüs­se der Ampel. Eini­ge ande­re Din­ge ver­teu­ern sich.

Den Schön­heits­feh­ler, dass das längst zuge­sag­te Kli­ma­geld nicht gleich­zei­tig als Kom­pen­sa­ti­ons­in­stru­ment grei­fen kann, kann man nicht weg­dis­ku­tie­ren. Dass das Finanz­mi­nis­te­ri­um in den zurück­lie­gen­den zwei Jah­ren kei­nen Ver­tei­lungs­me­cha­nis­mus gefun­den hat, wirkt für mich gewollt. 

Haushaltslöcher – keine Investitionen in die Zukunft

Indes­sen scheint es, als sei der CO₂-Preis nur dazu da, einen Bei­trag zur Schlie­ßung des Haus­halts­lochs zu leisten. 

Allein die Tat­sa­che, der Gedan­ke auf­kommt, spricht nicht für die Wir­kung der bis­he­ri­gen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie unse­rer Regie­rung, soll­te es die­se über­haupt gege­ben haben. 

Davon, dass es einen Aus­gleich gibt, weil es gro­ße Ent­las­tungs­pa­ke­te gibt, neh­men Oppo­si­ti­on, man­che Medi­en und gro­ße Tei­le unse­rer Öffent­lich­keit kaum Notiz. Die Sache ist eben hoch­kom­plex und die Leu­te haben kei­nen Nerv, sich mit den tat­säch­li­chen Gege­ben­hei­ten und Bedin­gun­gen auseinanderzusetzen. 

Dort ste­hen nur die Posi­tio­nen im Brenn­punkt, die sich skan­da­li­sie­ren und gegen die Regie­rung ins Feld füh­ren las­sen. Trau­rig, dass die Metho­de in der Öffent­lich­keit so gut ankommt. 

Lockeres Talkshow-Geplauder

Dass auch Wis­sen­schaft­ler der Ver­su­chung nicht wider­ste­hen kön­nen, die gewal­ti­gen Trans­for­ma­ti­ons­not­wen­dig­kei­ten zu rela­ti­vie­ren, macht deut­lich, dass die Ein­sicht wei­ter­hin fehlt, den Kli­ma­wan­del auch auf natio­na­ler Ebe­ne mit den zu Gebo­te ste­hen­den Mit­teln zu bekämpfen. 

Die Uni­on bekun­det, gewis­se Not­wen­dig­kei­ten zu sehen, lässt es aber an Kon­kre­tem man­geln. War­um wohl? Bei kon­ser­va­ti­ven Poli­ti­kern, Wis­sen­schaft­lern und Jour­na­lis­ten scheint der Kli­ma­wan­del wei­ter­hin kein vor­ran­gi­ges The­ma zu sein. Sie ste­cken ihre Ener­gie in popu­lis­ti­sche Gegen­nar­ra­ti­ve und offen­ba­ren dafür an ande­rer Stel­le wah­res Enga­ge­ment (Ein­däm­mung der soge­nann­ten ille­ga­len Migra­ti­on). Dabei gibt es unüber­seh­ba­re Zusammenhänge.

Man soll­te den­ken, dass Poli­ti­ker so ziem­lich alles über Kom­mu­ni­ka­ti­on wis­sen und ihr ABC beherr­schen. Das schließt ein, die neu­en Medi­en in einer Wei­se „bespie­len“ kön­nen, dass ihre Poli­tik vom größ­ten Teil der Bevöl­ke­rung ver­stan­den wird. Augen­schein­lich sind jedoch die Zusam­men­hän­ge inzwi­schen der­art kom­plex, dass dies kaum mehr gelingt. 

Im Fall des Kanz­lers mag man sei­ne Unfä­hig­keit kon­sta­tie­ren, Men­schen zu errei­chen. War­um das ein­mal gelingt (Zei­ten­wen­de oder beim letz­ten SPD-Par­tei­tag) und dann wie­der über­haupt nicht (Rede zum Bun­des­haus­halt in die­ser Woche) wird mir ein Rät­sel blei­ben. An den Reden­schrei­bern wird es nicht lie­gen. Ein­mal redet er frei, wirkt authen­tisch und man ver­steht sei­ne Bot­schaft und dann wie­der ist der Scholzo­mat aktiv und ver­saut alles. Sei­ne Rede­zeit zu ver­schla­fen, wäre dann noch das Bes­te, was man tun kann. Erkennt­nis­ge­win­ne gehen an die­sen Ereig­nis­sen gegen null.

Kommunikation

Es wird oft behaup­tet, dass die­se Regie­rung dies oder jenes schlecht kom­mu­ni­ziert hät­te. Habecks Hei­zungs­ge­setz war ein Bei­spiel – ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­sas­ter. Ansons­ten könn­te es aller­dings auch der Fall sein, dass vie­le weder bereit noch in der Lage sind, die kom­ple­xen Zusam­men­hän­ge zu durch­drin­gen und sich am Ende eines wie auch immer lau­fen­den Prüf­vor­gan­ges ein Urteil nicht erlau­ben sollten. 

Statt­des­sen aber nei­gen wir dazu, eine Sache kurz zu betrach­ten und die meis­tens rudi­men­tä­ren Erkennt­nis­se laut- und mei­nungs­stark zu kom­men­tie­ren. Das hal­ten wir dann für Demo­kra­tie. Das jedoch ist nur ein klei­ner Teil davon. Ver­ste­hen und kon­struk­ti­ves Mit­ma­chen zählt dazu. Aus Soli­da­ri­tät mit unse­rem Land.

P.S.: Kei­ne Ahnung, wer Herrn Lind­ner gera­ten hat, die­ses Chart in die Kame­ra zu hal­ten und das womög­lich für gute Kom­mu­ni­ka­ti­on zu hal­ten. Wie gut das funk­tio­niert sieht man an den kri­ti­schen Kommentaren.

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Ampel Deutschland Haushalt Regierung Scholz SPD Trump Union

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