In einem Talk im ÖRR diskutierte man über die Qualität der Regierungsbeschlüsse zum Haushalt. Das kann, das muss sein! Wenn Diskussionen schließlich aber darin münden, dass die Regierungsfähigkeit nicht nur der Regierung, sondern gleich aller demokratischen Alternativen in der Öffentlichkeit infrage gestellt wird, ist das zumindest einmal ein schlechtes Zeichen.
Demokratie und Rückhalt
Die Demokratie verliert an Rückhalt, wenn solche Ansichten Schule machen. Umfragen und Studien zeigen einen besorgniserregenden Trend. Wenn das Publikum bei zuschauerreichen Talks wie Illner oder Lanz solche immer auch durch aktuelle Tagespolitik ausgelösten Wertungen immer häufiger hört und liest, ist das im Sinne der demokratischen Stabilität bedenklich. Umso mehr, als wir doch wissen, dass der Deutsche an sich eigentlich wenig Sympathie für ewig streitende Politiker hat. Dass ein politischer Diskurs oft nur dann etwas bringt, wenn es auch mal leidenschaftlich zugeht, ist trotzdem richtig. Allerdings ist das Theater, das die Ampel uns zumutet, einen Tick übertrieben.
Obwohl uns Deutschen eine gewisse Vorliebe fürs ruhige Durchregieren nachgesagt wird und wir politischen Streit tendenziell ablehnen, könnte oder sollte man einsehen, dass in so schwierigen Zeiten unterschiedliche Standpunkte und abweichende Lösungsvorstellungen naheliegen. So manche Diskussion ist deshalb nötig. Zum Wohle des Ganzen. Die Rolle der Opposition ist allerdings eine andere. Die FDP wird das nie lernen.
Vertrauensverlust und Unverständnis
Das Problem ist, dass Teile des festzustellenden Vertrauensverlustes, den wir nach der langen Regierungszeit Merkels, mit all den so spät offengelegten Versäumnissen und Fehlern, so angewachsen ist, dass schon vor 2021 viel Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Demokratie verloren ging. Dafür gibt es mehr Anhaltspunkte als „nur“ die hohen Umfragewerte der AfD. Oder wie sollte man die überhandnehmenden, sehr abfälligen Kommentare in den asozialen Medien deuten?
Die aktuelle Verteidigungslinie der Demokraten schließt ein, die AfD zu verbieten. Als ein Argument für das Verbot kann man anführen, dass unsere Geschichte im Hinblick auf den Nationalsozialismus einzigartig ist und diese sich nicht wiederholen dürfe. Das stimmt aber so nicht. Es gab auch in anderen Ländern nationalistische, faschistische Bewegungen, die antidemokratisch wirkten, wenn auch mit anderen Ausprägungen und Folgen. Wir sind heute jedenfalls umzingelt von Nachbarn, deren Regierungen national geprägte Schwerpunkte setzen. Wie ist es möglich, dass trotz einer jahrzehntelangen demokratisch-liberalen Tradition und einem Projekt namens EU nun die Nationalisten auftrumpfen?
Die Frage ist leicht zu beantworten. Sich auf europäischer Leben zeigende Desintegrationstendenzen wurden ignoriert. Nach dem Brexit sollten Reformen stattfinden. Geschehen ist NICHTS! Die EU-Europäer, die heutzutage Freude daran haben, wie sich die Briten mit ihrem wirtschaftlichen Niedergang quälen, können nicht sicher sein, ob dieser Entscheid auf lange Sicht nicht Positives bewirkt. Gut, danach sieht es im Moment wohl nicht aus. Man kann für die EU sein (wie ich) und dennoch viel Kritik an ihr üben. Im nächsten Jahre werden die Wahlen zeigen, ob die europäischen EU-Nationalisten die Institution von innen heraus sprengen können. Sie werden sich Mühe geben, so viel ist sicher.
Alternativen?
Es gibt eine (für mich erschreckend schnell) wachsende Zahl von Menschen, die die AfD wählen wollen. Ich halte das für schlimm! Im Gegensatz zu vielen Vertretern der demokratischen Parteien unseres Landes muss ich mich nicht mit Wertungen über diejenigen zurückhalten, die die Neigung haben, eine antidemokratische, systemfeindliche Partei zu wählen. Wählerbeschimpfungen sind Tabu, obwohl… ich finde, diese Wähler haben verdient, dass sie beschimpft werden.
Ich werde nächste Woche 70 Jahre alt und würde am liebsten nicht mehr wählen, weil ich das, was uns die anderen Parteien zumuten, kaum noch ertrage.
Die Ampel-Regierung hat laut einer Analyse bereits knapp zwei Drittel der Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt oder ist sie angegangen. Trotz vieler Streitthemen.
ZDF
Die Ampel-Koalition macht keinen schlechten Job. Ich mache mein Urteil natürlich nicht an dem Gezeter über die Haushaltsprobleme fest. Ich habe vergangene Woche gehört, dass ca. 2/3 der im Koalitionsvertrag vereinbarten Projekte von der Ampel bereits umgesetzt wurden. Das ist doch keine schlechte Bilanz, finde ich. Vielleicht erweist sich diese Regierung in der verbleibenden Zeit (sofern sie denn durchhält) als deutlich besser als ihr Ruf. Diesen haben Merz-Opposition und gewisse Medien (Springer, Focus etc.) ohnehin zu einem großen Teil auf dem Gewissen. Ich wünschte, eine Ära Merz, sollte sie denn kommen, wird von ebensolcher Unflätigkeit begleitet.
Die Union geriert sich als die politische Kraft, die es im Gegensatz zur Scholz-Koalition hinbekommt, den für den Transformationsprozess erforderlichen Riesen-Etat auf verfassungskonforme Art und Weise aufzustellen. Wer’s glaubt…
Haushaltspolitik zuungunsten einer Menge Menschen
Die Union würde eine andere Haushaltspolitik machen. Das ist wahrscheinlich, wenn auch nicht alles anders sein würde. Sie würde (mithilfe der AfD und den Liberalen, falls diese bei Neuwahlen im Parlament blieben) den Sozialstaat schleifen. Und zwar bis zur Unkenntlichkeit. Dafür steht Friedrich Merz. Verlierer bei Neuwahlen wäre durch den zu erwartenden Erdrutschsieg der Konservativen und Rechten auch der Klimaschutz, denn die (wie Union und Teile der Presse behaupten) teuren Maßnahmen, die als Habecks Lieblingsprojekte diffamiert werden, würden keine Priorität mehr erhalten. Merz’ Einlassungen übers Heizgesetz sind unmissverständlich. Ich würde gern Mäuschen spielen, wenn Merz mit Linnemann und den anderen abfällig über die Maßnahmen gegen den Klimaschutz reden. Solche Politik benötigt keiner, der noch alle Sinne beieinander hat.
Aufwiegeln mit Destruktivität
Es ist keine Überraschung, wie sich die deutsche Öffentlichkeit von Medien, die ebenfalls den Schuss nicht gehört haben, gegen alle pragmatischen Ansätze der Ampel aufwiegeln lässt.
Wir lassen uns zwar permanent erklären, dass wir aufgrund äußerer Einflüsse ärmer werden, sind dann aber doch bass erstaunt, wenn diese Ankündigungen Realität werden. Wir wollen nicht verstehen, dass es einen zeitlichen Versatz zwischen Feststellungen, Entscheidungen und Wirkungen gibt. So dumm sind die Menschen – trotz all der Informationen, die zur Verfügung stehen.
Wir gingen davon aus, dass der CO₂-Preis als Steuerungsinstrument später wirksam würde. Nun wird der Preis je Tonne von 30 auf 45 EUR erhöht. Das wirkt sich mit 4 – 5 Cent je Liter bei Sprit aus. Auch Öl und Gas verteuern sich. Bisher hat man die regulatorische Wirkung eines CO₂-Preises mehr oder minder gedrosselt, in dem der Preis bei 30 EUR /Tonne gehalten wurde. Auch das ändert sich durch die Haushaltsbeschlüsse der Ampel. Einige andere Dinge verteuern sich.
Den Schönheitsfehler, dass das längst zugesagte Klimageld nicht gleichzeitig als Kompensationsinstrument greifen kann, kann man nicht wegdiskutieren. Dass das Finanzministerium in den zurückliegenden zwei Jahren keinen Verteilungsmechanismus gefunden hat, wirkt für mich gewollt.
Haushaltslöcher – keine Investitionen in die Zukunft
Indessen scheint es, als sei der CO₂-Preis nur dazu da, einen Beitrag zur Schließung des Haushaltslochs zu leisten.
Allein die Tatsache, der Gedanke aufkommt, spricht nicht für die Wirkung der bisherigen Kommunikationsstrategie unserer Regierung, sollte es diese überhaupt gegeben haben.
Davon, dass es einen Ausgleich gibt, weil es große Entlastungspakete gibt, nehmen Opposition, manche Medien und große Teile unserer Öffentlichkeit kaum Notiz. Die Sache ist eben hochkomplex und die Leute haben keinen Nerv, sich mit den tatsächlichen Gegebenheiten und Bedingungen auseinanderzusetzen.
Dort stehen nur die Positionen im Brennpunkt, die sich skandalisieren und gegen die Regierung ins Feld führen lassen. Traurig, dass die Methode in der Öffentlichkeit so gut ankommt.
Lockeres Talkshow-Geplauder
Dass auch Wissenschaftler der Versuchung nicht widerstehen können, die gewaltigen Transformationsnotwendigkeiten zu relativieren, macht deutlich, dass die Einsicht weiterhin fehlt, den Klimawandel auch auf nationaler Ebene mit den zu Gebote stehenden Mitteln zu bekämpfen.
Die Union bekundet, gewisse Notwendigkeiten zu sehen, lässt es aber an Konkretem mangeln. Warum wohl? Bei konservativen Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten scheint der Klimawandel weiterhin kein vorrangiges Thema zu sein. Sie stecken ihre Energie in populistische Gegennarrative und offenbaren dafür an anderer Stelle wahres Engagement (Eindämmung der sogenannten illegalen Migration). Dabei gibt es unübersehbare Zusammenhänge.
Man sollte denken, dass Politiker so ziemlich alles über Kommunikation wissen und ihr ABC beherrschen. Das schließt ein, die neuen Medien in einer Weise „bespielen“ können, dass ihre Politik vom größten Teil der Bevölkerung verstanden wird. Augenscheinlich sind jedoch die Zusammenhänge inzwischen derart komplex, dass dies kaum mehr gelingt.
Im Fall des Kanzlers mag man seine Unfähigkeit konstatieren, Menschen zu erreichen. Warum das einmal gelingt (Zeitenwende oder beim letzten SPD-Parteitag) und dann wieder überhaupt nicht (Rede zum Bundeshaushalt in dieser Woche) wird mir ein Rätsel bleiben. An den Redenschreibern wird es nicht liegen. Einmal redet er frei, wirkt authentisch und man versteht seine Botschaft und dann wieder ist der Scholzomat aktiv und versaut alles. Seine Redezeit zu verschlafen, wäre dann noch das Beste, was man tun kann. Erkenntnisgewinne gehen an diesen Ereignissen gegen null.
Kommunikation
Es wird oft behauptet, dass diese Regierung dies oder jenes schlecht kommuniziert hätte. Habecks Heizungsgesetz war ein Beispiel – ein Kommunikationsdesaster. Ansonsten könnte es allerdings auch der Fall sein, dass viele weder bereit noch in der Lage sind, die komplexen Zusammenhänge zu durchdringen und sich am Ende eines wie auch immer laufenden Prüfvorganges ein Urteil nicht erlauben sollten.
Stattdessen aber neigen wir dazu, eine Sache kurz zu betrachten und die meistens rudimentären Erkenntnisse laut- und meinungsstark zu kommentieren. Das halten wir dann für Demokratie. Das jedoch ist nur ein kleiner Teil davon. Verstehen und konstruktives Mitmachen zählt dazu. Aus Solidarität mit unserem Land.
P.S.: Keine Ahnung, wer Herrn Lindner geraten hat, dieses Chart in die Kamera zu halten und das womöglich für gute Kommunikation zu halten. Wie gut das funktioniert sieht man an den kritischen Kommentaren.