Zukunftssorgen: Ist die Arbeitsmoral in Deutschland schlechter als anderswo?

HS230625

Horst Schulte

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Wenn das haus­in­ter­ne Poten­zi­al an Gehäs­sig­kei­ten der in Diens­ten des „Focus“ ste­hen­den Jour­na­lis­ten und Free­lan­cern erlahmt, greift die Chef­re­dak­ti­on ver­mut­lich auf die zahl­rei­chen „Exper­ten“ im Land zurück, vor­nehm­lich auf die­je­ni­gen, die eine beson­ders kri­ti­sche Sicht auf unser Land haben. So kommt es mir oft vor.

Heu­te heißt es: „Unter­neh­mens­be­ra­te­rin klagt an“ und «Fir­men flüch­ten nach Polen: Deut­sche Arbeits­mo­ral ist Anfor­de­run­gen nicht gewach­sen». Dicker kann man nicht auf­tra­gen. Nur, das ist auch wahr, für sol­che Fake News gibt es Abneh­mer, und zwar nicht nur in der Leser­schaft des Focus. Schließ­lich arbei­tet die Redak­ti­on auch für die aso­zia­len Medi­en. Dort kann die Anspra­che nie radi­kal genug sein.

pikaso composition
pika­so composition

Der Arti­kel beginnt mit der Aus­sa­ge, dass es neben „Mie­le“ immer mehr deut­sche Unter­neh­men nach Polen zie­hen wür­de. Das Manage­ment des Haus­halts­ge­rä­te­her­stel­lers nann­te deut­lich nied­ri­ge­re Ener­gie­kos­ten und weni­ger büro­kra­ti­sche Hür­den als Grün­de. Man müs­se bei sin­ken­der Nach­fra­ge Kos­ten spa­ren. Das ist ein längst ein­ge­üb­ter und bewähr­ter Plot, den vie­le Mana­ger auf der Welt abspu­len, übri­gens auch dann, wenn sie selbst den einen oder ande­ren klas­si­schen hand­werk­li­chen Feh­ler gemacht haben. Davon nimmt gewöhn­lich nur die Öffent­lich­keit kaum Kennt­nis. Man könn­te auch sagen: Dar­über wird nicht geredet!

Und da kom­men dann die Unter­neh­mens­be­ra­ter ins Spiel. Bes­ser gesagt, die sind es meis­tens, die von Unter­neh­men einer gewis­sen Grö­ßen­ord­nung für sehr viel Geld den Auf­trag bekom­men, die Lösungs­an­sät­ze vor­zu­schla­gen, die zuvor in den ver­trau­li­chen Gesprä­chen mit dem Manage­ment und Füh­rungs­kräf­ten der unte­ren Rän­ge des Unter­neh­mens „erar­bei­tet“ wur­den. Ob die Per­son, von der Focus sol­che mar­kan­ten Aus­sa­gen erhal­ten hat, zu die­ser Kate­go­rie zählt, ver­mag ich nicht zu beur­tei­len. Aller­dings habe ich in mei­ner lan­gen Berufs­zeit mit sol­chen Men­schen oft genug zu tun gehabt, um mir ein Bild machen zu können. 

Im Arti­kel heißt es, dass im letz­ten Jahr 16 % der Unter­neh­men des indus­tri­el­len Mit­tel­stan­des Arbeits­plät­ze und Pro­duk­tio­nen ins Aus­land ver­la­gert hät­ten. Von wei­te­ren 30 % wis­se man, dass die Absicht zur Abwan­de­rung bestehe. In Polen sei­en 9.500 Unter­neh­men mit deut­schen Inha­bern ansässig. 

Auch Mer­ce­des ver­leg­te die E‑Sprin­ter-Fer­ti­gung nach Nie­der­schle­si­en in Polen. Die­se deut­schen Unter­neh­men sind unter ande­rem in Polen ver­tre­ten und beschäf­ti­gen dort ins­ge­samt 450.000 Men­schen: Volks­wa­gen, Bosch, Sie­mens, Lidl und Ross­mann. Das Inves­ti­ti­ons­vo­lu­men deut­scher Unter­neh­men in Polen beträgt 36 Mrd. EUR.

Die Unter­neh­mens­be­ra­te­rin, die Focus das Deutsch­land-Bas­hing lie­fert, heißt Ella Grü­ne­feld. Sie ist gebür­ti­ge Polin, wohnt aber in Deutsch­land. Sie beglei­tet Unter­neh­men mit der Absicht, sich in Polen zu enga­gie­ren, als Inte­rims­ma­na­ge­rin. Sie führt die ganz gro­ße Klin­ge und führt aus, dass nahe­zu alles für die Unter­neh­men ein­fa­cher sei als in Deutsch­land. Die Rede ist natür­lich auch in die­sem Fall von den deut­schen Büro­kra­tie­hür­den, aber auch von gut aus­ge­bil­de­ten Fach­kräf­ten vor Ort in Polen. 

Frau Grü­ne­feld spricht nicht aus­drück­lich von den Ver­säum­nis­sen der Ampel-Regie­rung, son­dern führt die Situa­ti­on auf die Ent­wick­lung der letz­ten Jahr­zehn­te zurück. Dazu zählt sie die Ener­gie­wen­de, die Digi­ta­li­sie­rung, aber auch die feh­len­de Infra­struk­tur (Glas­fa­ser­net­ze und Stra­ßen­bau). Sie spricht von einer „tech­no­lo­gie­feind­li­chen Wirt­schaft“ in Deutsch­land und man­geln­dem Ver­än­de­rungs­wil­len. Sogleich folgt der Vor­wurf, die deut­sche Arbeits­mo­ral sei den moder­nen Anfor­de­run­gen nicht gewach­sen (Frau Stol­la! Haben Sie gehört?). 

Wei­ter führt sie aus, wie ver­hee­rend die Zusam­men­ar­beit der Unter­neh­men und Behör­den in Deutsch­land ist. Sogar die Bereit­schaft zur Wei­ter­ent­wick­lung sei in Polen grö­ßer als in Deutsch­land, wie über­haupt die Arbeits­mo­ral sich in den Zah­len widerspiegle. 

Scho­nungs­lo­ser kann man die Mise­re unse­res Lan­des kaum beschrei­ben und sie wird sogar per­sön­lich. Frau Grü­ne­feld lebt, wie zuvor bespro­chen, aller­dings in Deutsch­land. Das passt aus mei­ner Sicht nicht so ganz zusam­men. All die­se Vor­be­hal­te müss­ten ja dazu füh­ren, dass sie lie­ber in Polen leben wür­de. Aller­dings wird sie für ihre Arbeit und ihre pro­fun­de Exper­ti­se natür­lich ein geeig­ne­tes Revier gebrauchen.

Es war in mei­nen Augen immer abseh­bar, dass die Län­der Ost-Euro­pas in unter­schied­li­chen Geschwin­dig­kei­ten an die Lebens­ver­hält­nis­se in West-Euro­pa anknüp­fen wer­den, zumal das Ver­spre­chen des Kapi­ta­lis­mus, wenn man eine Auf­hol­jagd zu bes­se­ren Lebens­be­din­gun­gen so bezeich­nen darf, auf allen Fel­dern ihre Wir­kung ent­fal­tet. Dazu zählt, dass die Men­schen in Polen und in ande­ren ost-euro­päi­schen Län­dern mit einer ande­ren Ein­stel­lung ihren Weg gehen. Dass in unse­rem Land man­che vor­ge­ben, als ob die­se Anglei­chung der Lebens­ver­hält­nis­se ohne Rei­bungs­ver­lus­te ablau­fen könn­ten, ist lächerlich. 

Wol­len wir noch ein paar Zah­len zum The­ma gemein­sam betrach­ten und unse­re Schlüs­se mit denen abglei­chen, die Frau Grü­ne­feld über unser Land zur Kennt­nis brachte: 

Wirtschaftlicher Vergleich Deutschland vs. Polen (Stand: 2024)

Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP)

  • Deutsch­land: 3.842 Mil­li­ar­den Euro (2023)
  • Polen: 673 Mil­li­ar­den Euro (2023)

BIP pro Kopf

  • Deutsch­land: 46.344 Euro (2023)
  • Polen: 17.642 Euro (2023)

Wirt­schafts­wachs­tum

  • Deutsch­land: +1,9% (2023)
  • Polen: +4,6% (2023)

Arbeits­lo­sen­quo­te

  • Deutsch­land: 2,5% (2023)
  • Polen: 5,6% (2023)

Infla­ti­on

  • Deutsch­land: 7,9% (2023)
  • Polen: 14,4% (2023)

Han­dels­bi­lanz

  • Deutsch­land: +254 Mil­li­ar­den Euro (2022)
  • Polen: +11 Mil­li­ar­den Euro (2022)

Wich­tigs­te Exportgüter

  • Deutsch­land: Kraft­fahr­zeu­ge, Maschi­nen, che­mi­sche Erzeugnisse
  • Polen: Maschi­nen, Elek­tro­nik, Möbel

Wich­tigs­te Importgüter

  • Deutsch­land: Maschi­nen, Kraft­fahr­zeu­ge, che­mi­sche Erzeugnisse
  • Polen: Maschi­nen, Kraft­fahr­zeu­ge, Elektronik

Staats­ver­schul­dung

  • Deutsch­land: 69,7% des BIP (2023)
  • Polen: 53,4% des BIP (2023)

Wäh­rung

  • Deutsch­land: Euro
  • Polen: Pol­ni­scher Zło­ty (PLN)


Zusam­men­fas­send:

  • Deutsch­land hat eine deut­lich grö­ße­re Volks­wirt­schaft als Polen.
  • Das Wirt­schafts­wachs­tum in Polen ist jedoch deut­lich höher als in Deutschland.
  • Die Arbeits­lo­sen­quo­te in Deutsch­land ist nied­ri­ger als in Polen.
  • Die Infla­ti­on in Polen ist deut­lich höher als in Deutschland.
  • Deutsch­land hat eine deut­lich posi­ti­ve Han­dels­bi­lanz, Polen hin­ge­gen eine leicht positive.
  • Bei­de Län­der sind wich­ti­ge Han­dels­part­ner füreinander.
  • Die Staats­ver­schul­dung Deutsch­lands ist deut­lich höher als die Polens.
  • Deutsch­land hat den Euro als Wäh­rung, Polen den Pol­ni­schen Złoty.


Wei­te­re Unterschiede:

  • Infra­struk­tur: Die Infra­struk­tur in Deutsch­land ist bes­ser aus­ge­baut als in Polen.
  • Arbeits­kos­ten: Die Arbeits­kos­ten in Polen sind deut­lich nied­ri­ger als in Deutschland.
  • Steu­ern: Die Steu­er­sät­ze in Polen sind nied­ri­ger als in Deutschland.
  • Lebens­hal­tungs­kos­ten: Die Lebens­hal­tungs­kos­ten in Polen sind deut­lich nied­ri­ger als in Deutsch­land.


    Quel­le: Gemi­ni, Google

Langfristige Investitionsentscheidungen: Deutschland vs. Polen

Die Ent­schei­dung, ob in Deutsch­land oder Polen inves­tiert wer­den soll, hängt von einer Viel­zahl von Fak­to­ren ab, die sowohl für das eine als auch für das ande­re Land spre­chen können.

Fak­to­ren, die für Deutsch­land sprechen:

  • Sta­bi­li­tät: Deutsch­land ist eine sta­bi­le Demo­kra­tie (sic?) mit einer star­ken Wirt­schaft und einem hohen Lebensstandard.
  • Qua­li­fi­zier­te Arbeits­kräf­te: Deutsch­land ver­fügt über ein gut aus­ge­bil­de­tes und qua­li­fi­zier­tes Arbeitskräftepotenzial.
  • Infra­struk­tur: Die Infra­struk­tur in Deutsch­land ist gut aus­ge­baut und modern.
  • Inno­va­ti­on: Deutsch­land ist ein füh­ren­des Land in For­schung und Entwicklung.
  • Grob­markt: Durch die Grö­ße des Lan­des und die Kauf­kraft der Bevöl­ke­rung bie­tet Deutsch­land einen gro­ßen Absatzmarkt.

Fak­to­ren, die für Polen sprechen:

  • Wachs­tums­dy­na­mik: Polen hat eine deut­lich höhe­re Wachs­tums­dy­na­mik als Deutschland.
  • Nied­ri­ge­re Kos­ten: Die Arbeits­kos­ten und die Lebens­hal­tungs­kos­ten in Polen sind deut­lich nied­ri­ger als in Deutschland.
  • Steu­er­be­güns­ti­gun­gen: Polen bie­tet ver­schie­de­ne Steu­er­be­güns­ti­gun­gen für aus­län­di­sche Investoren.
  • Zugang zum ost­eu­ro­päi­schen Markt: Polen liegt im Zen­trum Ost­eu­ro­pas und bie­tet somit Zugang zu einem gro­ßen Markt mit einem hohen Wachstumspotenzial.

Wei­te­re zu beach­ten­de Faktoren:

  • Bran­che: Die Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dung soll­te auch von der Bran­che abhän­gen, in die inves­tiert wer­den soll.
  • Risi­ko­be­reit­schaft: Die Inves­ti­ti­on in Polen ist mit einem gewis­sen Risi­ko ver­bun­den, da die Wirt­schaft noch nicht so sta­bil ist wie die deut­sche Wirtschaft.
  • Per­sön­li­che Prä­fe­ren­zen: Auch die per­sön­li­chen Prä­fe­ren­zen des Inves­tors spie­len eine Rol­le, z. B. die Spra­che, die Kul­tur und das Lebens­um­feld.

    Quel­le: Gemi­ni, Google


Ich will ein­mal ganz lax ein bekann­tes Sprich­wort an die­sen Text anpas­sen und sagen: Noch ist Deutsch­land nicht ver­lo­ren. Las­sen wir uns bit­te nicht ein­re­den, als sei­en alle nur erdenk­li­chen Anpas­sungs­pro­zes­se der letz­ten Jah­re nur im Aus­land abge­lau­fen. Wir ste­cken mit­ten­drin in einem gewal­ti­gen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess. Der kos­tet Geld und sehr viel Kraft. Wenn wir uns von Medi­en wie dem Focus in die­ser Art und Wei­se her­un­ter­zie­hen las­sen, ist unse­rem Land und den Men­schen nicht gedient. Es braucht nur lei­der einen län­ge­ren Atem und vor allem ein Min­dest­maß an Selbst­ver­trau­en. Haben wir das ver­lo­ren oder war­um klin­ken sich so vie­le in die­se nega­ti­ven Beschrei­bun­gen unse­res Lan­des ein?

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Horst Schulte
Rentner, Blogger & Hobbyfotograf
Mein Bloggerleben reicht bis ins Jahr 2004 zurück. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und lebe seit meiner Geburt (auch aus Überzeugung) auf dem Land.

Schlagworte: Deutschland Polen Wirtschaft

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2 Gedanken zu „Zukunftssorgen: Ist die Arbeitsmoral in Deutschland schlechter als anderswo?“

  1. Weil es Auf­merk­sam­keit und damit wil­li­ge Leser bringt. Leser der Ela­bo­ra­te einer Medi­en­ma­sche, die in nega­ti­ven Schlamm­schlach­ten, im Anpran­gern und Nör­geln das bes­te Spiel­feld gefun­den hat, Auf­la­ge bzw. Klick­zah­len zu generieren.

    Das ist wirk­lich alles, um das es Focus und ande­ren Plär­rer-Orga­nen geht. Es geht wirk­lich um nichts ande­res. Nicht um Deutsch­land (außer, es schlecht­zu­re­den), schon gar nicht um eine Bewäl­ti­gung der Pro­ble­me, vor denen wir ste­hen. Im Gegen­teil, das könn­te „Quo­te“ bzw. Leser und die Wer­be­ziel­grup­pen kosten.

    Das alles funk­tio­niert, weil es uns vie­le Jah­re lang rich­tig gut gegan­gen ist. Ok, nicht den Ärms­ten, für die sich die rech­te Kra­keel­pres­se aber frü­her auch schon nie inter­es­siert hat, genau­so wenig wie heute.

    Uns ging/​geht es so gut, das wir fast weg­ge­nickt sind in einen woh­li­gen Dau­er­schlaf des wirt­schaft­li­chen Erfolgs, und das ist abso­lut der Tod gera­de der rech­ten Hetz­me­di­en-Land­schaft. Nichts bringt die schnel­ler um Geld und Auf­merk­sam­keit und damit Wir­kung als eine sehr gro­ße Schar zufrie­de­ner Menschen.

    Pro­spe­rie­ren­de Gesell­schaf­ten mit zufrie­de­nen, erfolg­rei­chen Bür­gern nei­gen sich nie nen­nens­wert nach rechts, schon gar nicht nach rechtsaußen.

    Des­we­gen nutzt der rech­te Kra­wall von Focus über NZZ, Sprin­ger­pres­se, Tichy, Bro­der, und wie sie alle hei­ßen, jede Gele­gen­heit, alles kaputt­zu­schrei­ben. Die kön­nen gar nicht anders, weil eine intak­te, pro­spe­rie­ren­de Gesell­schaft (und Wirt­schaft) ihnen die wirt­schaft­li­che Exis­tenz unter den Füßen weg­zie­hen würde.
    Genau wie übri­gens auch Töp­fe­klop­fern wie dem aller­schnells­ten Fähn­chen im Wind, Söder und dem Mann von Vor­ges­tern, Merz.
    Von der neu­en Nazi­par­tei ganz zu schweigen…

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