Politik

Die Angst vor dem, was uns alles verschwiegen wird

Der Philosoph Richard David Precht behauptete diese Woche bei „Markus Lanz“, dass der laufende Wahlkampf bisher deshalb so farblos verlaufen sei, weil die etablierten Parteien aus Angst vor schlechten Wahlergebnissen die drei wichtigsten Themen unserer

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Der Philosoph Richard David Precht behauptete diese Woche bei „Markus Lanz“, dass der laufende Wahlkampf bisher deshalb so farblos verlaufen sei, weil die etablierten Parteien aus Angst vor schlechten Wahlergebnissen die drei wichtigsten Themen unserer Zeit nicht angesprochen hätten.

1.) Gesellschaftliche Umbrüche durch Digitalisierung
2.) Unsere Art zu wirtschaften ist nicht nachhaltig
3.) Migration

Die Angst vor der Wahrheit

Ich denke, viele Menschen werden Prechts Sicht teilen, insbesondere was den 3. Punkt anbelangt. Die Motivation der Politiker, diese Themen anzusprechen hält sich in Grenzen, weil sie sehr gut dazu geeignet sind, „die Menschen“ zu deprimieren oder ihnen noch mehr Angst zu machen als sie sie in diesen bewegten Zeiten ohnehin schon haben. Denn in diese erlauchte Liste reihen sich weitere Theme ein, von denen man nicht so richtig weiß, wohin sie noch führen werden. Ich nenne mal willkürlich ein paar, die mir gleich einfallen: Klimawandel, Trump, Erdogan, Putin.

Sie alle haben gemeinsam, dass sie hochkomplex, kompliziert aber vor allem hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf unsere Zukunft völlig unvorhersehbar sind.

Sie eignen sich deshalb, wie das übrigens auch das Thema Demografie zeigt, bestens dazu, die schlimmsten Bilder zu zeichnen.

Genau das macht Precht bei seinen auffallend regelmäßigen Treffen mit Markus Lanz überaus routiniert. So routiniert, dass ich mich manchmal frage, wessen Interessen er mit seinen düsteren Geschichten vertreten könnte. Aber ich will nicht bösartig sein. Die drei Themen sind ohne jede Frage wichtig und gehören auf die politische Agenda.

Dass sich Politiker, wenn sie es überhaupt versuchen würden, mit so kritischen Themen bereits in ihren eigenen Parteien nicht durchsetzen können, mag einerseits richtig sein. Andererseits gibt es Beispiele dafür, wie einzelne Politiker brisante Themen aufgegriffen haben und nach zähem Ringen mit unterschiedlichem Erfolg eine gesellschaftliche Diskussion einleiten konnten.


Demografie

Ich denke zum Beispiel an Kurt Biedenkopf, der gemeinsam mit Professor Meinhard Miegel sehr früh (nach seinem Ausscheiden aus der Politik in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre) das Thema demografische Entwicklung mit ihren weitreichenden Folgen in der Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Wir wussten schon lange von den „lauernden Gefahren“. Nur haben wir uns – bequem wie wir sind – lange Zeit nicht damit auseinandergesetzt. Die Schuld dafür tragen – wer sonst? – die Politiker.

Ostverträge – „Wandel durch Annäherung“

Willy Brandts Ostpolitik war auch in seiner Partei nicht unumstritten. Wohl nicht ohne Grund hat Willy Brandt seinen „Bundesminister für besondere Aufgaben“, Egon Bahr, zu geheimen Gesprächen nach Moskau entsandt. Der Moskauer als auch der Warschauer Vertrag wären vermutlich nicht zustande gekommen ohne Willy Brandts Initiative und Bahrs Beharrlichkeit.

Für die Härte des damaligen Konflikts spricht die Tatsache, dass die Union noch heute die Wirkungen des so genannten Nato-Doppelbeschlusses für den späteren Fall der Mauer höher einschätzt als die der Ostverträge. Helmut Schmidt setzte den Nato-Doppelbeschluss gegen den Willen der Mehrheit seiner Partei durch. Wie ideologisch die Positionen damals geprägt waren erleben wir sogar heute noch.

Die Bevölkerung nahm das, was hinter Egon Bahrs Slogan „Wandel durch Annäherung“ stand, zunächst nicht ernst. Die Konservativen lehnten die Ostpolitik auch als Ausdruck der Schwäche gegenüber den Kommunisten ab. Übrigens ist überliefert, dass Helmut Kohl und Richard von Weizsäcker Brandts Ostpolitik positiv gegenüberstanden.

Es war damals ein Hauen und Stechen, das mit der heutigen Auseinandersetzung über das Thema Migration noch am ehesten vergleichbar ist. Die „Front“ verlief damals auch in dieser Frage quer durch die Bevölkerung.

Im Zuge der Ostpolitik scheiterte die sozial-liberale Koalition 1972 beinahe an diesen Konflikten. Rainer Barzel wagte zum ersten Mal ein Misstrauensvotum gegen die Regierung und scheiterte (2 Stimmen fehlten!) damit. Zuvor hatten Abgeordnete von FDP und SPD ihre Parteien verlassen und waren zur CDU übergetreten.

***

Viele werfen Politikern Fehlentwicklungen vor ohne auch nur einmal darüber nachzudenken, welchen Anteil wir selbst haben (Wahlbeteiligung, Palaver in den sozialen Netzwerken). Wer ist schon bereit, für politische Parteien zu arbeiten und die damit verbundene knüppeldicke Verantwortung zu tragen?

Ist es nicht sehr unfair, dass wir unseren Politikern vorwerfen, wichtige Zukunftsthemen nicht anzupacken, während wir selbst (nicht mal in Gedanken) dies ebenso wenig zu tun bereit sind? Die politischen Parteien sollen laut Grundgesetz an der Willensbildung der Bürger mitwirken (§21 GG). Wir beschränken uns lieber darauf, Kritik üben. Kein Politiker bleibt verschont. Es ist nie konstruktive, sondern stets herablassende bösartige Kritik, die uns zu jeder Tages- und Nachzeit einfällt.

Wir wissen vielleicht mehr über die Aufgaben und Probleme, die Politik lösen sollte, als uns die Politiker es zubilligen oder zutrauen wollen. Es ist nicht bloß die Sorge um die eigene Position, die ein Plus an Volksbeteiligung durch unsere Parteien bisher verhindert hat. Sie behaupten in ihren Reden zwar etwas anderes, aber ein Teil der Wahrheit ist vermutlich, dass sie uns zu wenig zu- und vertrauen.

Natürlich wissen wir – wenn wir ehrlich sind – nur zu gut, wie wir reagieren, wenn Politiker uns mit Utopien oder Ideen auf den Leib rücken, mit denen wir entweder (noch) nichts anfangen können oder die uns so unheimlich sind, dass wir einfach nichts davon hören wollen.

Es ist unfair, die Mechanismen innerhalb von politischen Parteien zu kritisieren, obwohl man genau weiß, dass zumindest ähnliche Mechanismen in der Gesellschaft und auch in unseren Familien wirken.

Was andererseits aber nicht heißen soll, dass ich die tradierten und irgendwie zu zementierten Abläufe in unseren Parteien gut fände.

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Quelle Featured-Image: HorstSchulte.com

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