Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des „Philosophie“ – Magazins, bewundere ich wegen ihrer Klugheit. Ich räume allerdings ein: Für so einen Satz, den ich für meinen Titel „geklaut“ habe, muss man nicht klug sein.
Ich merke, wie meine Enttäuschung über das irgendwo von so vielen klugen Menschen Gesagte exponentiell zunimmt.
Zuerst habe ich mich damit abspeisen lassen, dass Äußerungen von Fachwissenschaftlern (Virologen oder Epidemiologen) durchaus unverbindlich sind. Wer allerdings glaubt, Thesen jedweder Art kämen als freibleibendes Angebot daher, irrt sich. Schließlich beraten Koryphäen ihrer Zunft unsere Regierung.
Umso verwirrter war ich, als ich erfuhr, Wissenschaft sei nicht mehr als Versuch und Irrtum. Man soll gar nicht glauben, wie sich die Meinungen und Empfehlungen von WissenschaftlerInnen unterscheiden. Diejenigen, die nicht zu denen zählen, die unsere Regierung beraten (dürfen?), scheinen inzwischen angefressen. Oder sollte ich sagen: neidisch? Man würde „abweichende Meinungen“ in solchen Beratergremien nicht berücksichtigen.
Dass die deutsche Akademie der Wissenschaften, „Leopoldina“, bei den Entscheidungsfindungen durchaus eine Rolle spielten, zählt für die Kritiker nicht. Und das, obwohl die Dinge dort kontrovers ausgetragen werden. Dass das Rücktrittsschreiben des Wissenschaftlers vor allem (siehe Google – Suchergebnisse) auf subversiven Seiten und Blogs wie „Epoch Times“, „Eigentümlich frei“, „Boris Reitschuster“, „rtdeutsch“ etc. verbreitet wurde, kennzeichnet den für unser Land kritischen Stand solcher (wissenschaftlichen) Kontroversen.
Da treten also renommierte Wissenschaftler mit unterschiedlichen Standpunkten in eine Diskussion ein, die von normalen Menschen ohnehin schwer zu durchdringen ist.
Wer möchte sich daran versuchen, wie viel Kritik an PolitikerInnen und den sie beratenden Wissenschaftlern auf fundierten Argumenten und wie viele davon auf Fehlinterpretationen und Missverständnissen beruhen? Wieler, Drosten, Brinkmann, Meyer-Hermann, Betsch, Apweiler, Nagel. Oder lieber Streek, Kekulé, Stöhr? Wie wäre es mit Bhakdi, Vodarg oder Köhnlein?
Die Wahrheit ist, dass es ein bisschen von allem ist, das uns Otto – Normal – Bürger*innen erreicht. Wie die PolitikerInnen mit unterschiedlichen Sichtweisen bei ihren sehr schweren und weitreichenden Entscheidungen klarkommen, ist mir persönlich ein Rätsel. Die eine Wahrheit existiert in manchen Fällen nicht. Sie hängt u.a. vom Weltbild der Menschen ab, die eine oder eine andere Position vertreten.
Längst haben auch die oppositionellen Politiker*innen Blut gerochen. Es ist schließlich Wahlkampf und die FDP kämpft (mal wieder) ums Überleben. Da muss man auch als stellvertretender Bundestagspräsident voll da sein mit Ratschlägen und Warnungen. Ich dachte, auch das Amt des Stellvertreters verpflichte zur Neutralität?
Markus Lanz sorgt für die Einhaltung des nötigen Proporz. Überhaupt spielen die Medien in diesem Zirkus eine ganz bedeutende Rolle.
Viele Journalistinnen und Journalisten zeigen in dieser Krise wieder nicht die Distanz, die viele sich von Beobachtern und Berichterstatter einer kritischen gesellschaftlichen Situation wünschten. Das war in der Flüchtlingskrise so und jetzt tun sie es wieder! Sie sagen, was richtig und was falsch ist.
Die Medien sind Teil unseres Corona – Problems. Teil der Lösung werden sie nicht werden. Sie senden jeden Quatsch, jede fehlerhafte, halbgare Information, die es ihnen aus Aufmerksamkeitsgründen (Klicks und Quoten) wert ist, veröffentlicht zu werden.
Begründet wird jeder Mist im Zweifel damit, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf habe, informiert zu werden. Das gilt auch, wenn sich die Nachricht am nächsten Tag, manchmal sogar nur Stunden später, als Ente erweist. Die Klicks und Quoten hat man jedenfalls erst mal im Sack.
Dass sich die Verantwortlichen bei den Medien im Nachhinein dazu einlassen und sich manchmal sogar entschuldigen, ändert nichts daran, wie destruktiv und gefährlich ein solches Vorgehen in einer labilen Gesellschaft ist. Ich würde sogar sagen, dass manche Fehler, die in dieser Krise gemacht werden, sich im Nachhinein als irreversibel erweisen könnten.
Ich mache mir, wie Svenja Flaßpöhler, Sorgen um unsere Demokratie. Aber Alternativen zur Politik der Regierung fallen mir auch nicht ein. Insofern verstehe ich ihren Frust gut. Aber er ändert auch nichts an den Verhältnissen.
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Das Problem wird immer auftreten, wenn Wissenschaft in die nicht-wissenschaftliche Öffentlichkeit tritt oder dazu hinzugezogen wird. Das liegt in der Natur der Sache.
Wissenschaft, wissenschaftliche Forschung ist immer ein Gebiet kontroverser Auseinandersetzung. Wissenschaft ist immer eine Angelegenheit des Standes der Dinge zum jeweiligen Zeitpunkt. Es ist immer im Fluss, immer in Diskussion. Erkenntnis ist immer Erkenntnis zu einem bestimmten Zeitpunkt und im Geltungsbereich einer bestimmten Theorie. Und Theorien wettstreiten gelegentlich miteinander.
Wäre es anders, wäre es nicht Wissenschaft.
Das gilt für alle Wissenschaften und besonders für die methodisch stärker formalisierten wie die Naturwissenschaften. Aber es gilt auch in den Geisteswissenschaften und auch in der Philosophie.
Die mediale bzw. medial vermittelte Öffentlichkeit möchte allerdings klare Fakten und feste Gewissheiten. Berichte über wissenschaftliche Fachdiskussionen im professionellen Fluss sind nur schwer in griffige Statements zu fassen und dem Zuschauer in ein paar markigen Formulierungen anzudienen.
Was der Zuschauer schließlich wahrnimmt, ist einerseits die mediale Verkürzung auf griffige Statements und markige Formulierungen — Dies und das ist faktisch so und so, weil das und jenes. Punkt. — Dann aber tritt auch manchmal die wissenschaftliche Kontroverse ans Tageslicht, und das wirkt dann wie der Kampf von gegeneinander stehenden Meinungen um die Deutungshoheit.
Und das wird schließlich medial hochgepuscht, weil es „knallt“. Die mediale Bühne wird zur Arena umfunktioniert und die Beteiligten möglichst „blutig“ aufeinandergehetzt. Die Medien wollen seit Rom Gladiatorenspiele in der Arena, Lanz und Co. sind am Ende auch nichts weiter als die moderne Form der Gladiatorenkämpfe im Colosseum, nur unblutig.
Wenn ich als außenstehender Beobachter, der nicht Teilnehmer am jewiligen wissenschaftlichen Diskurs, also nicht Fach-Mensch ist, nun als Betroffener ins Geschehen hineingezogen bin, würde ich gerne sicheres Wissen und darauf beruhende Handlungsanleitungen erwarten. Was ich dagegen bekomme, ist unsicheres Wissen, vage Vermutungen und ebenso vage, vorläufige Schlussfolgerungen. Offene Diskussionen, also nichts Handfestes.
Mir als wissenschaftlich vorgebildetem Menschen macht das kaum Probleme, weil ich eben gelernt habe, wie Wissenschaft funktioniert und wie man mit unsicherem Wissen umgeht — ich bilde mich eben bei persönlichem Bedarf selbst weiter, um mehr Klarheit zu erhalten, was aber Arbeit erfordert — aber das macht nicht jeder. Dann bleibt Enttäuschung und Unzufriedenheit, und das führt in einer sowieso aufgeheizten und polarisierenden Stimmung zu entsprechender Missstimmung und zu Situationen, wie wir sie gerade erleben.
Ein Traum für Rattenfänger, also egomanische Wichtigtuer, die die Gelegenheit erkennen, viele „Follower“ auf ihre Seite ziehen zu können und vorgebliche Gegenbewegungen („Querdenker“) zu inszenieren — denen es aber nie um die Sache geht, sondern immer bloß um sie selbst.
(Den Rest erzählen die Fachleute für Verschwörungstheorien besser als ich…) 😉
Wenn ich morgens einen Blick auf Google News werfe und dort 95% der Schlagzeilen von Corona handeln, reichts mir schon wieder für den Tag! Dass man kaum mehr andere Themen mitbekommt, als gäbe es nur noch Corona und sonst nix, geht mir weit mehr auf den Senkel als dass ich beim Einkaufen Maske tragen muss! (Mir würde es reichen, montagfrüh 2 Stunden die Lage und die aktuell geltenden Vorschriften gemeldet zu bekommen – aber so viel Medienfasten, um das umzusetzen, schaffe ich nicht,).
Was machen wir eigentlich, wenn das Virus, wie für Coronaviren typisch, immer wieder mutiert? Grippeviren (sind ja teils auch Coronaviren) mutieren so regelmäßig, dass man jedes Jahr 3 neue Impfstoffe braucht, die dann oft nur zu 40% wirken.
Statt sich allgemein zu freuen, dass die Infektionen, Sterbefälle und Inzidenzen sinken, geht es nurmehr um die „gefährlicheren“ Mutationen, deren Gefährlichkeit nach Stand des Wissens nur in einer höheren Ansteckungsgefahr liegt. Dabei wird Ansteckung IMMER auf diesselbe Weise vermieden: durch Reduzierung der Kontakte, effektives Masken tragen etc. – mittlerweile wären aber auch Schnelltests möglich, die vieles ermöglichen könnten.
Ich denke, dass der allgemeine Unmut demnächst gewaltigen Schub bekommen wird: wenn die Inzidenzen unter 50 liegen, die Frisöre offen haben – und je nach Land noch dies und das (wehe den Landespolitikern, die die Gartencentern nicht öffnen!). Wenn dann noch abrupt der Frühling eintritt, wird es kein Halten mehr geben!
In Berlin sitzen normalerweise viele ab der ersten Frühlingssonne in den Straßencafés – und monatelange Erfahrungen mit Gastronomie im Außenbereich bei Abstand wurden hier lange gemacht. Es wird nicht vermittelbar sein, dass das diesen Frühling verboten bleiben soll! Schließlich gilt doch eigentlich nach wie vor, dass DRAUSSEN die Übertragung durch Aerosole kaum stattfindet.
Was die Wissenschaftler angeht, hat Boris schon alles dazu gesagt, Ich ergänze: sogar in der „Rechtswissenschaft“ ist es nicht anders! Es gibt keine Gerechtigkeit ein für alle mal, sondern immer eine „herrschende Meinung“, die von den Gerichten und letztlich vom Bundesgerichtshof festgeklopft wird, daneben entwickeln sich Mindermeinungen, von denen manche irgendwann zur „herrschenden“ werden. Weil aber „Recht gesprochen“ werden muss, wirkt das Ganze in der öffentlichen Wahrnehmung festgeklopfter als es tatsächlich ist.
Die Coronakrise deckt gnadenlos die Schwächen auf: unter anderem werden auch die Bildungsdefizite in Bezug auf die Basics unseres Staatswesens, und eben auch der Wissenschaften überdeutlich, die viel weiter verbreitet sind als man so denkt. Aus meiner Sicht wäre es Aufgabe engierter Journalisten, dagegen anzuschreiben – aber ganz im Gegenteil wird die vielgestaltige Unwissenheit zur Skandalisierung GENUTZT und noch verstärkt! Man denke nur an die vielen Anwürfe im Sinne „Merkel setzt sich nicht durch“ – als hätte sie jemals irgend ein Recht gehabt, den Ministerpräsidenten in ihre landeshoheitlichen Zuständigkeiten rein zu reden!
Möglichst einfach ist halt oft genug einfach falsch. Womit ich bei der herablassend-arroganten Meinung angekommen bin, die hierzulande viele Medienschaffende gegenüber dem Publikum pflegen, dem angeblich komplexere Inhalte nicht zuzumuten sind (außer mitten in der Nacht). Es gibt eine ARTE-Serie Samstagabend „Philosophie“, die das recht deutlich macht, denn sie wird teils von französischen, teils von deutschen Sendern gemacht, immer abwechselnd. Der Niveauunterschied der „zugemuteten“ Inhalte könnte gar nicht größer sein. Es wirkt wie Philosophie-Seminar versus Grundschule!
Na, bin am abschweifen… hab Dank für deine unermüdlichen Postings zum Thema, bin ganz froh, dass es noch jemand schafft!
Mir gings weniger um die Wahrnehmung der „Zuschauer“ als vielmehr um die Frage, wie „wissenschaftliche Prozesse“ eigentlich von unseren Politikern aufgenommen und in praktische Politik überführt werden können. An den Reaktionen eines wachsenden Teils der Öffentlichkeit sehen wir nicht nur, dass „wir“ keine Wissenschaftler sind, sondern auch, dass unser Gesellschaftssystem krass überlastet wird. Dazu tragen Wissenschaftler mit ihren öffentlichen Diskursen ebenso bei wie Journalisten. Letztere verfluche ich dafür.
Nichts „motiviert“ besser, als ein langer, langer Artikel im Spiegel, in dem deutlich gemacht wird, dass wir aber so was von am Arsch sind…
Das ist journalistische Logik. Den ersten Teil kann ich nachvollziehen. Wenn ein Virus sich in einer Gegend ausbreitet (Tirol), ist es schneller in der Nachbarschaft. Aber dass es sich Gebiete aussucht, in denen viele Menschen bereits immun waren, setzt etwas voraus, wovon ich nicht ausgehe, dass ein Virus darüber verfügt. Ich unterstelle aber immer noch, dass Journalisten über eine gewisse Intelligenz verfügen. Auch wenn manche einem das sehr schwer machen.
Wir werden davon ausgehen müssen, dass dieses Virus immer weiter mutiert. Grippe – Viren tun das, weshalb sollten Corona Viren es nicht so machen? Die Impfstoffe für Grippe werden angepasst, deshalb sollte das auch bei denen gegen Corona möglich sein. Es scheint (wohl in erster Linie von den Medien geschaffenes) Zeitproblem zu sein. Uns kanns nicht schnell genug gehen. Scheiß egal, wie viele Menschen auf der Welt am Virus erkranken oder sterben, Hauptsache Deutschland ist gut mit Impfstoff versorgt. Einerseits nerven mich manchmal humanistische Ansätze zur Bekämpfung des Virus, andererseits sollte ein Mensch wissen, worauf es ankommt. Nicht darauf, dass wir (Deutsche) ein paar Monate früher und schneller geimpft werden, sondern dass das Virus effektiv bekämpft wird. Aber he, wer bin ich, dass ich so einen Gedanken pflege?
Der allgemeine Unmut, der vor allem von Medien geschürt wurde, wird sich Bahn brechen. Das ungute Gefühl habe ich auch. Manchmal wünscht man sich fast, dass die Politik alle Maßnahmen beendet und alles seinen „geregelten“ Gang nähme. Als Rentner könnte ich mich einigeln und versuchen, den Infektionen nach eigenen Vorstellungen zu entgehen. Aber was die „Unmutigen“ dann wohl sagen würden, wenn plötzlich die Krankenhäuser überliefen und viele Tote zu beklagen wären? Dann würden die Medien wieder nur in eine Richtung zeigen. Die Politik ist immer schuld.
Gott, bin ich froh, dass ich Rentner bin und nicht direkte existenzielle Sorgen habe. Aber wenn alles zusammenklappt, werden auch die Renten gekürzt. Wer weiß schon, was nach einem Zusammenbruch der Wirtschaft bevorsteht? Und vor allem, wer weiß, welche Zumutungen das Virus oder seine Mutanten für uns bereithalten werden?