Politik

Die Gedanken sind frei, das Wort ist es auch

Wie kann der Staat mit den unterschiedlichen und zum Teil auseinanderdriftenden Interessen der Bevölkerung umgehen? Mit mehr Spielraum etwa?

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Einer denkt, eine wehrhafte Demokratie existiert in unserem Land schon deshalb nicht, weil die zuständigen Instanzen trotz existierender Belege für die demokratieverachtende Haltung so mancher AfD-Mitglieder und Anhänger davor zurückschrecken, ein Verbotsverfahren einzuleiten.

Ein anderer findet, dass extrem gegensätzliche Positionen, seien sie noch so fremd oder inakzeptabel, zur Demokratie dazu gehören und dass deshalb Parteienverbote noch Sprech- und Denkverbote ausgeschlossen sein müssten.

Für die einen ist die humanitäre Verpflichtung gegenüber bedrängten, noteidenden Menschen so überragend, dass sie nicht verstehen, dass es überhaupt Menschen gibt, die ihre eigenen Interessen (vulgo: Egoismus) höher gewichten, als Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft.

Sie konsumieren Verschwörungstheorien (Umvolkung) und machen diese zu ihren Glaubensgrundsätzen. Dass sich hinter den Überzeugungen aller Seiten ein gesellschaftlicher Sprengsatz versteckt, wird ignoriert.

Moral, christliche Überzeugungen, Egoismus, Zukunftsangst oder was auch immer in diesem Kontext »Orientierung« geben mag, stehen diametral gegeneinander, aber oft auch nebeneinander als Motivation für jede Position.

Manche wollen vom Klimawandel und den daraus abgeleiteten Handlungsoptionen nichts (mehr) wissen. Die Unbequemlichkeiten könnten sich zur Überforderung, bis hin zur Verarmung Deutschlands auswachsen. Für die Skeptiker liegt es näher, den Klimawandel zu leugnen und sich darüber zu freuen, dass es (in diesem Winter) heftig geschneit und sogar gefroren hat. Es bestätigt ihre Haltung, dass es den Klimawandel nicht gibt. Nicht in ihrer Realität jedenfalls.

Das waren drei Themenfelder. Sie haben gemeinsam, dass sie hochkomplex und mit moralischen Aspekten und mit gesellschaftlichen Fallstricken versehen sind. Vor allem aber haben sie Auswirkungen auf unsere gemeinsame Zukunft – nicht nur in Deutschland.

Veränderungen sind nicht unser Ding.

Ich glaube, primär deshalb, weil wir zu den Nationen auf dieser Erde zählen, in denen die Alten das Sagen haben. Der demografische Faktor beherrscht politische Entscheidungen, fürchte ich. Der Einfluss der älteren Bevölkerungsteile wird zunehmen. Ältere Menschen sind weniger veränderungsbereit als Jüngere.

Sie tendieren nicht nur zur Ängstlichkeit, sondern sie wollen noch stärker als jüngere Generationen am Erreichten festhalten. Nur keine Veränderungen! Dass dieses Verhalten dem Wirken konservativer oder nationalkonservativer und rechtsextremer Kräfte entgegenkommt, liegt nahe und wir sehen das an den Veränderungen, die sich in der Zusammensetzung unserer Parlamente darstellen. Demnächst könnten zwei neue (konservative) Parteien mit überraschend hohen (prognostizierten) Stimmenanteilen im Bundestag sitzen.

Bevor die Ampel ihre Arbeit einstellt, sollte es eine Hoffnung auf vernünftige Alternativen geben. Schade. Ich sehe nicht eine.

Gestern habe ich das Interview gelesen, das die Zeitschrift die „Zeit“ mit Bundeskanzler Olaf Scholz geführt hat. Es ist ein wenig wie immer. Zuerst fühlte ich mich alles in allem von seinen Aussagen positiv angesprochen. Aber rasch erhielten meine alten Vorbehalte Oberwasser. Fazit: Der Mann kann es nicht. Was habe ich mir nur gedacht, die SPD zu wählen? Na, das werden sich viele fragen. Oder auch nicht. Immerhin ist doch ein Trost, dass es ja eindeutig Schuldige für das alles gibt. Nicht wahr?

Wie sehr haben wir uns in den vergangenen Jahrzehnten auf „DIE“ Politik verlassen? Trotzdem ist die sogenannte Politikverdrossenheit ja längst kein neues Phänomen mehr. Jetzt wird sie allerdings von manchen bereits Demokratieverdrossenheit oder — noch schlimmer — Demokratieverachtung genannt. Ja, wir Deutsche sind gründlich in unseren Ansagen und in der Art und Weise wie wir Kritik äußern. Wir tendieren, das fällt sogar mir altem Nörgler auf, zum Schlechtreden unseres Landes. Der Politik ohnehin. Keiner kann das Land besser mies machen als die Deutschen selbst. Ich glaube, das hat Tradition im ehemaligen Land der Dichter und Denker.

Es gibt immer verschiedene Sichtweisen. Je mehr Krisen Menschen ausmachen, umso mehr. Sie entstehen nicht nur in Demokratien, sondern auch in jedem anderen Land. Ich habe gelesen, es gibt heutzutage mehr Autokratien als Demokratien auf der Welt. Was heißt das eigentlich genau?

Wir haben das Privileg, mitbestimmen zu können. Da gibts allerdings auch die, die schon lange behaupten, Deutschland sei keine Demokratie. Nicht nur Reichsbürger, auch Linke sagen so etwas. Wir sind drauf: Sei es durch lautes Murren, Maulen oder Schimpfen oder sei es durch unsere Teilnahme an Demonstrationen für die eine oder andere Seite. Wir wissen, dass das nicht selbstverständlich ist. Wissen wir es auch zu schätzen?

Friedrich Merz sagte im Kontext der Großdemos gegen rechts, dass er sich wünsche, dass sich mehr Menschen in den Parteien engagieren würden. Ich weiß nicht, wie sich die Mitgliederzahlen in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Bei den Ampel-Parteien soll es nicht so gut laufen – derzeit. Dafür hört man von der AfD von vergleichsweise großen Mitgliederzugängen in den letzten Wochen. Angeblich 1.400 Menschen. Ich glaube, die AfD hat aktuell ca. 40.000 Mitglieder. Da ist das wahrscheinlich gar nicht mal wenig.

Ich sehe es kritisch, dass – ich pauschalisiere – die Bevölkerung dazu »erzogen« worden wäre, sich so sehr auf den Staat zu verlassen. Dass Kanzler Olaf Scholz in dieser angespannten Zeit davon sprach, dass die Regierung alles im Griff habe und der einzelne Bürger nicht persönlich belastet werde, war schon kurz nachdem er dies gesagt hatte, widerlegt. Wie kann man so dumme, offensichtlich falsche Dinge sagen?

Vielleicht haben wir es verlernt, uns nicht immer gleich zu beklagen, sondern für uns einzustehen und dem Staat auf der anderen Seite klarzumachen, dass wir genau dieses Maß an Selbstbestimmung und Risiko haben wollen und nicht, dass der Staat (egal, welche Regierung am Ruder ist) sich aufführt wie ein Kindermädchen.

Ich will keine Reduzierung des Sozialstaates, auch keine Rentenkürzungen oder etwas in dieser Art. Solche Forderungen, wie ich sie formuliert habe, ermuntern erfahrungsgemäß ja diejenigen, die solche Absichten hinter dem Schlagwort: »Weniger Staat« vermuten. Wir benötigen mehr Zutrauen zu uns selbst und dafür müssen wir auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Nicht auf parteipolitischer Bühne, sondern zunächst für uns selbst. Deutschland ist ein starkes Land.

Ich sage das angesichts meiner Überzeugung, dass es zwar Deutschland (dem Land als Nation) in den zurückliegenden Jahrzehnten (vor allem seit Beginn der Globalisierung) gut gegangen ist. Leider vielen Deutschen (einschließlich der Migranten) aber keineswegs.

Dass die Regierungen trotz aller bestehenden Möglichkeiten durch hohe Steuereinnahmen PLUS billiges Geld (Zinspolitik der EZB) nicht in die auf Verschleiß gefahrene Infrastruktur investiert hat, hätte längst politische Konsequenzen haben müssen. Aber da haben wir alle geschlafen. Oder wir haben das hingenommen, weil wir den Versprechungen von Union und SPD glaubten. Der Sozialstaat wurde immer teurer, die Effizienz scheint hinterherzuhinken. Nun müssen wir das gemeinsam ausbaden. Es wird nicht leicht.

Übrigens sollte es wirklich einmal eine Studie dazu geben, welche unheilvolle Wirkung das Vorgehen (Indoktrination) vieler Medienvertreter in den diversen Dekaden auf die Entwicklung im Land gehabt hat. Der Blick auf diese Frage kommt mir viel zu kurz. Ändern oder nützen würde das nichts am Zustand der Republik. Aber immerhin könnte man so den Kreis der Verantwortlichen über die Politiker hinaus so auch erweitern. Schuldige kann der Deutsche an sich schließlich nie genug haben. Hauptsache, er persönlich ist fein raus.

Die Bewältigung unterschiedlicher und zum Teil auseinanderdriftender Interessen in der Bevölkerung ist eine komplexe Herausforderung für jeden Staat. Es gibt verschiedene Ansätze, wie Regierungen mit dieser Vielfalt umgehen können, und der Spielraum, den der Staat dabei hat, kann davon abhängen, wie demokratisch, flexibel und offen für verschiedene Meinungen das politische System ist.

Hier sind einige mögliche Strategien:

  1. Demokratische Prozesse: Eine grundlegende Methode besteht darin, demokratische Prinzipien zu stärken und sicherzustellen, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Meinungen frei äußern können. Dies beinhaltet faire Wahlen, Bürgerbeteiligung, Meinungsfreiheit und den Schutz von Minderheitenrechten.
  2. Dialog und Konsensbildung: Der Staat kann Mechanismen schaffen, um den Dialog zwischen verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft zu fördern. Konsensbildung kann dazu beitragen, gemeinsame Interessen zu identifizieren und Lösungen zu finden, die für die Mehrheit akzeptabel sind.
  3. Gleichberechtigte Vertretung: Eine angemessene Vertretung verschiedener Gruppen in politischen Institutionen und Entscheidungsgremien ist wichtig, um sicherzustellen, dass verschiedene Perspektiven gehört werden und in politische Entscheidungen einfließen.
  4. Partizipation und Empowerment: Bürgerbeteiligung kann durch Informationszugang, Bildung und die Förderung von zivilgesellschaftlichen Organisationen gestärkt werden. Dies ermöglicht es den Menschen, ihre Anliegen besser zu verstehen und aktiv an politischen Prozessen teilzunehmen.
  5. Politische Bildung: Die Förderung von politischer Bildung ist entscheidend, um die Bevölkerung in die Lage zu versetzen, informierte Entscheidungen zu treffen. Dies kann helfen, Missverständnisse zu reduzieren und das Verständnis für die Komplexität politischer Herausforderungen zu fördern.
  6. Flexible Politikgestaltung: Staatliche Institutionen können flexiblere Politikansätze verfolgen, um auf sich ändernde Bedürfnisse und Interessen in der Gesellschaft einzugehen. Hierbei ist es wichtig, dass Politik auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und nicht ausschließlich kurzfristigen politischen Interessen folgt.

Es ist wichtig zu beachten, dass der Umgang mit unterschiedlichen Interessen oft eine komplexe und fortlaufende Aufgabe ist. Staatliche Institutionen müssen offen für Veränderungen sein, um sich den sich wandelnden gesellschaftlichen Dynamiken anzupassen. Der Grad des Spielraums kann stark von den politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eines Landes abhängen.

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Quelle Featured-Image: HorstSchulte.com

6 Gedanken zu „Die Gedanken sind frei, das Wort ist es auch“

  1. Es wird aber kein Erlöser kommen. Weder als Partei noch als Freak Show. Auch nach den nächsten Wahlen nicht.
    Das o. A. kann man als Gimmick zubuchen, vorher bedarf es allerdings einer Strukturreform auch des Parteiensystems.

    Etwas in der Richtung wird natürlich nicht passieren. Zumindest, solange noch was im Budget drin ist.

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  2. Nein, bitte nicht schließen!
    Deine Zustandsbeschreibung finde ich sehr stimmig,
    Grade hab ich die Zusammenfassung eines Artikels bekommen, der die Ängste der US-Amerikaner und Deutschen vergleicht.

    „Laut Umfrage haben die Amerikanerinnen und Amerikaner vor allem Angst vor korrupten Politikern und Politikerinnen. 60 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fürchten sich davor. Weitere große Ängste betreffen einen möglichen wirtschaftlichen Zusammenbruch, einen Atomwaffen-Einsatz durch Russland, einen weiteren Weltkrieg, schwere Erkrankungen oder den Tod nahestehender Personen, Trinkwasserverschmutzung, biologische Kriegsführung, Cyberterrorismus und finanzielle Unsicherheit.“

    „Die größten Ängste der Deutschen sehen laut der Umfrage anders aus: An erster Stelle standen im letzten Jahr steigende Lebenshaltungskosten (65 Prozent), unbezahlbares Wohnen (60 Prozent) und erhöhte Steuern oder gekürzte Leistungen durch den Staat (57 Prozent). …..
    Im Vergleich zu 2022 sind zwei Ängste laut der Befragung besonders stark gestiegen: Die Angst, dass Deutsche und deutsche Behörden durch Geflüchtete überfordert sein könnten (plus elf Prozentpunkte) und die Angst, dass das Zusammenleben in Deutschland durch einen weiteren Zuzug von Migrantinnen und Migranten beeinträchtigt werden könnte (plus zehn Prozentpunkte). Die Ängste belegen Platz vier und zwölf des Rankings.“

    Erstaunlich, wie sehr unsere Ängste sich auf die lokale Versorgung beziehen! Wobei ich immer wieder merke, wie sehr der Blick auf größere Zusammenhänge fehlt. Dass es also Entwicklungen gibt (Zinsniveau, Inflation, Ukraine-Krieg, geopolitische Entwicklungen), die auch durch „die Ampel“ (oder andere Regierende) nicht aus der Welt geschaffen werden können.

    Immerhin: die Demos zur „Verteidigung der Demokratie“ sind ein Lichtblick! Das bedeutet ja, dass die einfachen „Antworten“ der Rechtsextremen bei der Mehrheit nicht verfangen.

    Zugenommen hat m.E. die Europa-Skepsis, z.B. auch durch die BSW-Gründung. (eines der kommenden Gesetze hab ich im Diary thematisiert). Da zweifle ich sogar selbst ein wenig, ob wirklich so vieles EU-weit geregelt werden sollte.

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  3. Der Gimmick bezog sich auf den 6-Punkteplan bei der neuen Regierung.
    Die neue Regierung wird indes auch nur mehr verwalten und irgendein Gesetzesvorhaben umsetzen. Es ist eigentlich schon egal, wer an die Macht kommt. Das Budget lockt und mit den Kumpels ne schöne Sause machen hat ja auch was. Der arme Teil der Bevölkerung muss halt selbst schauen, wo er bleibt. Die Mittelschicht wird es freuen, zumindest am Anfang noch.

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  4. @Juri, ok. Ich hatte die Aussage auf den kompletten Text bezogen. Deine Aussage, dass der arme Teil der Bevölkerung schauen muss, wo er bleibt, teile ich nicht. Jeder macht sich Sorgen über das was unfähige Politiker anrichten könnten. Ich glaube, dies eint uns grenzübergreifend. Nur ist diese Sorge in Deutschland deshalb so ausgeprägt, weil wir uns zu sehr auf diesen Sozialstaat eingelassen haben. Das hatte zur Folge, das wir zur Unselbstständigkeit und zum Anspruchsdenken erzogen wurden. Wenn der Haushalt 2025 verhandelt wird, werden wir sehen, ob es um Kürzungen im Sozialstaat geht oder eher nicht. Ich glaube kaum, dass die Regierung, die ja nun mit der Anspruchshaltung der Bevölkerung stets ganz direkt konfrontiert ist, da viel tut. Bis es dann – irgendwann – einfach nicht mehr anders geht. Wie lange das noch dauert, weiß keiner.

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  5. @Claudia, Danke für den Link. Interessant. Ich würde ja meinen, dass der Unterschied zwischen den US-Amerikanern und uns auch darin zu sehen ist, dass wir nicht Korruption fürchten, sondern eher die totale Unfähigkeit gewählter Politiker. Verfolgt man die Diskussionen und die üble Kritik an der Regierung, spielt Korruption wohl eher keine Rolle. Zukunftssorgen sind wohl überall ein Grund für eine sich entwickelnde Skepsis gegenüber der Demokratie. Das muss sich dringend ändern. Wir brauchen eine bessere Balance und vor allem muss das Vertrauen in die handelnden Politiker sich wieder verbessern. Sonst sehe ich schwarz.

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